Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Oberkörper mit erschreckend menschenähnlichen Zügen hatte.
Cassius nickte. »Das wirst du auch bald.«
»Warum verbrennst du deine Notizen?«
»Ich kann sie nicht mitnehmen, und es wäre zu gefährlich, sie hierzulassen.«
Jonathan erschrak. »Was hast du vor?«
»Wir beide werden eine Reise machen, du und ich.«
»Eine Reise – wohin?«
»Zuerst nach Iridionh. Dann sehen wir weiter.«
»Iridionh?«
»Dort wurde das Eyn geschmiedet, ehe es sich teilte. Eine Welt aus Feuer und Rauch. Die ersten Besucher der Menschen haben sie als Ort der Verdammnis bezeichnet. Man könnte auch sagen: als Hölle.«
Er sprach ohne einen Funken Ironie. Jonathan hätte überrascht sein sollen, neugierig oder zumindest ein klein wenig verwundert, doch in seinem Inneren regte sich gar nichts.
»Wir brechen noch heute Nacht auf. Pack deine Sachen, und nimm nur das Nötigste mit.«
»Wird es gefährlich werden?«
»Wir werden sehen«, brummte Cassius und warf ein paar Papyrusrollen ins Feuer, die fast im selben Augenblick zu Asche zerfielen.
Jonathan tat, wie ihm geheißen. Er zog seinen Rucksack unter dem Bett hervor, stopfte Kleidung hinein und dazu das gläserne Messer. Alles andere, seine Bücher, die Comics und Bergkristalle, sein ganzes altes Leben ließ er zurück. Er wollte seine Vergangenheit nicht länger mit sich herumschleppen, er war ein anderer geworden.
Cassius pochte an seine Tür. »Da will dir noch jemand Lebewohl sagen.«
Eliane schob sich an ihm vorbei und blieb auf Armlänge entfernt vor Jonathan stehen. Unsicher zupfte sie an ihren Haaren und suchte nach Worten. »Hier hast du also deine Sommerferien verbracht. Nicht unbedingt das Ritz, aber für eine Burg gar nicht mal so übel.« Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. Da war noch etwas anderes, das sie ihm sagen musste. »Übrigens, das mit deinem Papa …«
Es war nett gemeint, aber er wollte jetzt nicht über Cornelius sprechen. »Ich weiß, was du sagen willst. Schon in Ordnung.«
Sie nickte dankbar. »Ich bin nicht so gut in solchen Dingen, weißt du?«
Sein Herz wurde ein wenig leichter. Es tat gut, sie zu sehen, ihre Stimme zu hören und zu wissen, dass sie empfand wie er. Zum ersten Mal seit Tagen konnte er wieder etwas spüren, auch wenn es wieder dieses komische Gefühl war, das er immer bekam, wenn er in ihrer Nähe war: Angst, Verunsicherung, gleichzeitig aber auch Freude.
»Dein Onkel meinte, ihr geht weg«, sagte sie, als ihr die Stille unangenehm wurde. Jonathan setzte sich auf das Bett. Sie nahm neben ihm Platz. »Weißt du schon, wann ihr wieder zurückkommt?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht einmal, wohin wir gehen.« Und es spielt auch keine Rolle, fügte er in Gedanken hinzu.
»Wenn du wieder in Bärenfels bist, besuchst du mich, oder?«
»Na klar. Dann kannst du mir endlich mal deine Melkmaschine zeigen. Und wie man einen Schweinestall ausmistet.«
Sie verpasste ihm einen Hieb in die Seite. »Nicht frech werden! Ich hab dir ein paarmal den Hintern gerettet. Sei lieber nett zu mir.«
Jetzt musste auch er lächeln. »Ich werde dich echt vermissen, du Landei.«
»Ich dich auch, Blitzbirne.«
Cassius klopfte an die Tür und warf Eliane einen auffordernden Blick zu. Es war Zeit. Sie erhob sich und streckte Jonathan die Hand entgegen.
»Komm gut nach Hause in deine Stadt, Jonathan. Wir sehen uns.«
Nach allem, was sie für ihn getan hatte, wollte er ihr nicht einfach nur die Hand reichen wie einem beliebigen Fremden. Er nahm sie in den Arm. Eliane drückte ihn fest an sich und legte ihren Kopf an seine Schulter. Für ein paar Augenblicke standen sie so, und Jonathan spürte, dass seine Ohren rot wurden wie reife Tomaten. Verschämt löste er sich und warf sich seine Jacke über.
»Sei vorsichtig da draußen, okay?«, sagte Eliane. »Ich glaube, da gibt’s eine Menge verrückter Dinge.«
Sie tauschten ein letztes Lächeln, dann verließ sie ihn.
»Lass uns gehen«, sagte Cassius.
Mit schwerem Herzen schulterte Jonathan seinen Rucksack. Auch Cassius hatte sich vorbereitet. Er trug einen schweren schwarzledernen Mantel über seiner Weste und einen Seesack auf der Schulter. In seinem Gürtel steckten Messer und Allzweckwerkzeuge, außerdem hatte er eine Reihe kleiner Taschen, deren Inhalt Jonathan verborgen blieb. Was auch immer sie enthielten, Jonathan verwettete sein letztes Hemd darauf, dass auch die eine oder andere Wunderwaffe aus dem geheimen Schrank dabei war. Gewiss hatte sein Onkel nicht all
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