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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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vielleicht besser daran getan, die Dienste eines Imkers statt eines Zauberers in Anspruch zu nehmen. Auch konnte sich Strange nicht vorstellen, dass es Ihren Königlichen Hoheiten gefallen würde, sollte er die Hände des Königs mit eisernen Nägeln durchbohren. Und die Anmerkung über die Farbe Rot war ebenfalls sonderbar. Er meinte, sich zu erinnern, etwas über Rot gelesen oder gehört zu haben, aber im Augenblick fiel es ihm nicht ein.
    Der König parlierte unterdessen mit der eingebildeten silberhaarigen Person. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, dass ich Sie für einen gewöhnlichen Menschen gehalten habe«, sagte er. »Sie mögen, wie Sie sagen, ein König sein, aber ich erlaube mir zu bemerken, dass ich noch nie von einem Ihrer Königreiche gehört habe. Wo ist Verlorene Hoffnung? Wo sind die Blauen Schlösser? Wo ist die Stadt der Eisernen Engel? Ich dagegen bin König von Großbritannien , ein Land, das jeder kennt und das auf allen Landkarten verzeichnet ist!« Seine Majestät hielt inne, vermutlich, um die Antwort der silberhaarigen Person anzuhören, dann rief er unvermittelt: »Ach, seien Sie nicht beleidigt. Bitte, seien Sie nicht beleidigt. Sie sind ein König und ich bin ein König. Wir wollen alle zusammen Könige sein. Wirklich, keiner von uns hat Grund, beleidigt zu sein. Ich werde für Sie spielen und singen.« Er zog eine Flöte aus einer Tasche seines Morgenmantels und spielte eine melancholische Weise.
    Als Experiment streckte Strange die Hand aus und nahm Seiner Majestät die rote Schlafmütze vom Haupt. Er sah genau hin, um festzustellen, ob der König dadurch wahnsinniger wurde, aber nach mehrminütiger Beobachtung musste er zugeben, dass er keinen Unterschied bemerkte. Er setzte ihm die Schlafmütze wieder auf.
    Während der nächsten eineinhalb Stunden versuchte er es mit jedem Zauber, der ihm einfiel. Zauber, um sich zu erinnern, um etwas zu finden, um jemanden zu wecken, um die Gedanken zu konzentrieren, um Albträume und böse Gedanken zu vertreiben, um Muster im Chaos aufzuspüren, um einen Weg zu finden, wenn man sich verirrt hatte, um zu entmystifizieren, um das Wahrnehmungsvermögen zu schärfen, um die Intelligenz zu steigern, um Krankheit zu heilen und ein gebrochenes Bein zu kurieren. Manche der Zaubersprüche waren lang und kompliziert. Manche bestanden aus nur einem Wort. Manche Sprüche mussten laut vorgetragen, andere nur gedacht werden. Manche kamen ohne Worte aus und erforderten nur eine einzige Geste. Manche Zauberei hatten Strange und Norrell in der einen oder anderen Form während der letzten fünf Jahre jeden Tag betrieben, andere waren wahrscheinlich seit Jahrhunderten nicht mehr angewandt worden. Für manche brauchte man einen Spiegel, zwei verlangten nach einem winzigen Blutstropfen aus dem Finger des Zauberers; und für eine Zauberei benötigte er eine Kerze und ein Stück Band. Aber alle hatten eins gemeinsam: Sie hatten keinerlei Wirkung auf den König.
    Nach den eineinhalb Stunden dachte Strange: »Oh, ich geb's auf.«
    Seine Majestät, die sich in einem Zustand glückseliger Unwissenheit die Zaubereien betreffend befand, plauderte vertraulich mit der Person mit dem Silberhaar, die nur er sehen konnte. »Sind Sie jetzt für immer hier, oder können Sie auch wieder weggehen? Oh, bleiben Sie nicht, sonst werden Sie erwischt. Das ist ein schlechter Ort für Könige. Sie stecken uns in Zwangsjacken. Zum letzten Mal hat man mir an einem Montag im Jahr 1811 erlaubt, diese Räume zu verlassen. Sie behaupten, das wäre vor drei Jahren gewesen, aber das ist gelogen. Meinen Berechnungen nach war es Samstag in zwei Wochen vor zweihundertsechsundvierzig Jahren!«
    Armer, unglücklicher Mensch, dachte Strange. Eingeschlossen in diesem kalten, trostlosen Zimmer ohne Freunde und Vergnügen. Kein Wunder, dass die Zeit so langsam für ihn vergeht. Kein Wunder, dass er verrückt ist.
    Laut sagte er: »Es wäre mir ein großes Vergnügen, Sie nach draußen zu begleiten, Majestät, wenn Sie es wünschen.«
    Der König hielt in seiner Plauderei inne und wandte leicht den Kopf. »Wer hat das gesagt?«, fragte er streng.
    »Ich, Majestät. Jonathan Strange, der Zauberer.« Strange verbeugte sich respektvoll, bevor er sich daran erinnerte, dass Seine Majestät ihn nicht sehen konnte.
    »Großbritannien! Mein Königreich!«, rief der König. »Wie gern ich es wiedersehen würde – vor allem jetzt, da es Sommer ist. Wälder und Wiesen tragen ihr schönstes Kleid, und die Luft

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