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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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er inne.
    »Wer ist da?«, fragte er. »Wer ist es?«
    »Der Zauberer, Majestät«, sagte der Tollhauswärter.
    Der alte Mann schien einen Augenblick darüber nachzudenken und sagte dann mit lauter Stimme: »Das ist ein Berufsstand, für den ich überhaupt nichts übrig habe!« Er nahm sein Cembalospiel und das laute Singen wieder auf.
    Das war kein ermutigender Auftakt. Der Tollhauswärter kicherte unverschämt, zog sich zurück und ließ den König und Strange allein. Strange machte ein paar Schritte in den Raum hinein und stellte sich an eine Stelle, von der aus er das Gesicht des Königs sehen konnte.
    Es war ein Gesicht, in dem das ganze Elend des Wahnsinns durch das Elend der Blindheit verstärkt wurde. Die Iris der Augen war von einem trüben Blau und einem Weiß wie saure Milch. Lange weißliche Locken mit grauen Strähnen hingen an den Wangen herunter, die durchzogen waren von geplatzten Äderchen. Während der König sang, flog Spucke von seinen schlaffen roten Lippen. Sein Bart war nahezu ebenso lang und weiß wie sein Haar. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den Bildern, die Strange von ihm gesehen hatte und die gemalt worden waren, als er noch bei Sinnen gewesen war. Mit dem langen weißen Haar, dem langen Bart und dem langen purpurroten Morgenmantel ähnelte er vor allem einer tragischen alten Gestalt von Shakespeare – oder vielmehr zwei tragischen alten Gestalten von Shakespeare. In seinem Wahnsinn und seiner Blindheit war er sowohl Lear als auch Gloucester.
    Strange war von den Königlichen Herzögen darauf hingewiesen worden, dass es die Etikette bei Hofe nicht gestattete, den König anzusprechen – der König musste das Wort zuerst an ihn richten. Da bestand indessen wenig Hoffnung, da der König Zauberer nicht leiden konnte. Als er aufhörte zu spielen und zu singen, sagte Strange: »Ich bin der ergebene Diener Eurer Majestät, Jonathan Strange von Ashfair in Shropshire. Ich war der offizielle Zauberer der Armee während des Krieges in Spanien, wo ich Eurer Majestät erfreuerlicherweise einige Dienste leisten konnte. Die Söhne und Töchter Eurer Majestät hoffen, dass meine Zauberei Majestät ein wenig Erleichterung von Eurer Krankheit verschaffen kann.«
    »Sag dem Zauberer, dass ich ihn nicht sehe«, sagte der König munter.
    Strange machte sich nicht die Mühe, auf diese unsinnige Bemerkung zu antworten. Selbstverständlich konnte der König ihn nicht sehen, der König war blind.
    »Aber seinen Begleiter sehe ich ausgesprochen gut!« , fuhr Seine Majestät in wohlwollendem Tonfall fort. Er wandte den Kopf, als schaute er auf einen Punkt zwei oder drei Fuß links von Strange. »Mit dem Silberhaar, wie er es hat, da sollte ich ihn wohl auch sehen. Er scheint mir ein sehr wilder Kerl zu sein.«
    Seine Worte wirkten so überzeugend, dass Strange sich umwandte. Aber natürlich war niemand da.
    Während der letzten Tage hatte er in Norrells Büchern nach etwas gesucht, was mit dem Zustand des Königs zu tun haben könnte. Es gab bemerkenswert wenig Zaubersprüche, um Wahnsinn zu kurieren. Ja, er hatte nur einen einzigen gefunden, aber auch bei ihm war er sich nicht sicher, ob er für die Heilung des Wahns gedacht war. Er stand in Ormskirks Offenbarungen von sechsunddreißig anderen Welten . Ormskirk schrieb, dass er Illusionen vertreiben und falsche Vorstellungen korrigieren würde. Strange holte das Buch heraus und las die Anweisungen noch einmal. Es handelte sich um einen besonders obskuren Zauberakt, der mit den folgenden Worten beschrieben wurde:
     
    Stell den Mond in seine Augen, und sein Weiß wird die falschen
    Bilder verschlingen, die der Blender hineingetan hat .
    Bring einen Schwarm Bienen an sein Ohr. Bienen lieben die Wahrheit und werden die Lügen des Blenders vernichten .
    Gib Salz in seinen Mund, damit der Blender nicht versuchen kann, ihn mit dem Geschmack von Honig zu erfreuen oder mit dem Geschmack von Asche zu vergällen .
    Nagle seine Hand mit einem eisernen Nagel fest, damit er sie nicht heben kann auf Geheiß des Blenders .
    Versteck sein Herz an einem geheimen Ort, damit alle seine Wünsche nur ihm allein gehören und der Blender sich dort nicht festsetzen kann .
    Anmerkung: Die Farbe Rot mag sich als vorteilhaft erweisen .
    Nachdem Strange den Spruch gelesen hatte, musste er zugeben, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, was er bedeutete. 80 Wie sollte der Zauberer den Mond zu der kranken Person bringen? Und wenn der zweite Satz zutraf, dann hätten die Herzöge

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