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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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auf einen großen breiten Mann von dreißig oder vierzig Jahren. Sein Gesicht war rund, weiß, pockennarbig und mit Schweiß überzogen wie Cheshire Käse. Insgesamt sah er dem Mann im Mond auffällig ähnlich, der ja angeblich aus Käse besteht. Er hatte sich recht ungeschickt rasiert, und hier und da wuchsen in seinem weißen Gesicht zwei, drei dicke schwarze Haare – als wäre eine Fliegenfamilie in der Milch ertrunken, bevor Käse daraus gemacht wurde, und jetzt ragten ihre Beine heraus. Er trug einen Rock aus rauem dunklem Wollstoff, und sein Hemd und sein Halstuch waren aus grobem Leinen. Keines seiner Kleidungsstücke war sauber.
    »Ja?«, sagte er mit der Hand an der Tür, als wollte er sie bei der kleinsten Regung sofort wieder schließen. Er hatte so gut wie nichts von einem Palastdiener an sich, sehr viel jedoch von einem Tollhauswärter, und das war er auch.
    Strange zog angesichts dieses unhöflichen Verhaltens die Brauen in die Höhe. Er nannte kühl seinen Namen und sagte, er sei gekommen, um dem König aufzuwarten.
    Der Mann seufzte. »Nun, Sir, ich kann nicht leugnen, dass wir Sie erwartet haben. Aber Sie können nicht hereinkommen. Dr. John und Dr. Robert« – (so hießen die Willis-Brüder) – »sind nicht da. Seit eineinhalb Stunden warten wir auf sie. Wir wissen nicht, wo sie so lange bleiben.«
    »Das ist höchst bedauerlich«, sagte Strange. »Aber es betrifft mich nicht. Mir liegt nichts daran, die von dir erwähnten Herren zu sehen. Meine Aufwartung gilt dem König. Ich habe einen Brief dabei, unterschrieben von den Erzbischöfen von Canterbury und York, der mir die Erlaubnis erteilt, Seine Majestät heute besuchen zu dürfen.« Strange wedelte mit dem Schreiben vor dem Gesicht des Mannes herum.
    »Aber Sie müssen warten, Sir, bis Dr. John und Dr. Robert hier sind. Sie lassen nicht zu, dass sich jemand in ihre Behandlung des Königs einmischt. Ruhe und Abgeschiedenheit sind am besten für den König. Eine Unterhaltung ist das Schlimmste, was ihm widerfahren kann. Sie können sich nicht vorstellen, Sir, was für einen schrecklichen Schaden Sie dem König zufügen können, nur indem Sie mit ihm sprechen. Nehmen wir einmal an, Sie würden erwähnen, dass es regnet. Sie halten das vermutlich für die unschuldigste Bemerkung der Welt. Aber womöglich bringen Sie den König damit zum Nachdenken, und in seinem Wahnsinn springt er von einem Gedanken zum nächsten und gerät in gefährlichem Maße außer sich. Er mag an frühere Regentage denken, als ihm seine Diener Nachricht von verlorenen Schlachten und toten Töchtern und vom schändlichen Verhalten seiner Söhne brachten. Ach! Und das könnte ausreichen, um den König auf der Stelle umzubringen. Wollen Sie den König umbringen, Sir?«
    »Nein«, sagte Strange.
    »Nun denn«, sagte der Mann schmeichlerisch. »Sie sehen also ein, dass es besser wäre, auf Dr. John und Dr. Robert zu warten?«
    »Danke, aber ich werde es riskieren. Bitte führe mich zum König.«
    »Dr. John und Dr. Robert werden sehr zornig sein«, warnte der Mann.
    »Das ist mir einerlei«, sagte Strange kühl.
    Der Mann blickte daraufhin höchst erstaunt drein.
    »Also«, sagte Strange mit einem entschlossenen Blick und einem weiteren schwungvollen Wedeln des Briefs, »wirst du mich zum König bringen oder dich der Autorität zweier Erzbischöfe widersetzen? Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, die bestraft wird mit... Ich weiß nicht genau womit, aber ziemlich streng, kann ich mir vorstellen.«
    Der Mann seufzte. Er rief einen anderen Mann (der ebenso ungehobelt und schmutzig war wie er selbst) und schickte ihn los, um Dr. John und Dr. Robert zu holen. Dann trat er höchst widerwillig zur Seite, damit Strange eintreten konnte.
    Die Proportionen des Raums waren großzügig. Die Wände waren mit Eiche getäfelt und mit vielen schönen Schnitzereien verziert. Königliche und mythologische Gestalten hatten es sich auf Wolken an der Decke bequem gemacht. Aber der Raum hatte etwas Trostloses. Der Boden war nicht bedeckt, und es war sehr kalt. Ein Stuhl und ein ramponiertes Cembalo waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. Ein alter Mann saß am Cembalo, den Rücken ihnen zugewandt. Er trug einen Morgenmantel aus altem purpurrotem Brokat. Auf dem Kopf hatte er eine verknitterte Schlafmütze aus rotem Samt, und seine Füße steckten in schmutzigen zerrissenen Hausschuhen. Er spielte kraftvoll und sang laut auf Deutsch. Als er das Geräusch sich nähernder Schritte hörte, hielt

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