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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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schloss den Mund und gestikulierte wild, um es zu bestätigen. »Was mich betrifft, Sir, so war ich im Durchgang am Fuß der Treppe, als oben die Tür geöffnet wurde. Ich machte mich gerade bereit, zu diesem Zauberer zu sprechen – und ich wollte in Ihrem Namen, Sir, ein paar harsche Worte an ihn richten –, als ich durch Zauberei in einen Besenschrank gezerrt und mir die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde...«
    »Was für ein Unsinn!«, rief Strange.
    »Unsinn?«, schrie der Mann. »Und Sie haben die Besen im Schrank wohl auch nicht veranlasst, auf mich einzuschlagen! Ich habe überall blaue Flecken.«
    Das zumindest entsprach der Wahrheit. Sein Gesicht und seine Hände waren mit blauen Flecken übersät.
    »Nun, Zauberer!«, rief Dr. John triumphierend. »Was sagen Sie jetzt? Da alle Ihre Tricks aufgedeckt sind.«
    »Also wirklich«, sagte Strange. »Die Flecken hat er sich selbst zugefügt, damit seine Geschichte überzeugender klingt.«
    Der König machte auf seiner Flöte ein vulgäres Geräusch.
    »Ich versichere Ihnen«, sagte Dr. John, »dass die Königin und der Kronrat bald von Ihrer Unverschämtheit erfahren werden.« Dann wandte er sich von Strange ab und schrie: »Majestät! Kommen Sie her!«
    Der König sprang behände hinter Strange.
    »Bringen Sie den König gefälligst zurück in meine Obhut«, sagte Dr. John.
    »Das werde ich nicht tun«, erklärte Strange.
    »Und Sie wissen gewiss, wie man Verrückte behandelt, nicht wahr?«, sagte Dr. Robert und grinste höhnisch. »Sie haben es studiert?«
    »Ich weiß, dass man nichts heilt, wenn man einem Mann Gesellschaft, Bewegung und Abwechslung verweigert«, sagte Strange. »Das ist barbarisch! Ich würde nicht einmal einen Hund so halten.«
    »So wie Sie reden«, sagte Dr. Robert, »verraten Sie Ihre Unwissenheit. Die Einsamkeit und die Ruhe, über die Sie sich beschweren, sind die Ecksteine unserer Behandlungsmethode.«
    »Aha!«, sagte Strange. »Sie nennen es Methode, nicht wahr? Und worin besteht sie, diese Methode?«
    »Sie beruht auf drei wesentlichen Prinzipien«, erklärte Dr. Robert. »Einschüchterung ...«
    Der König spielte ein paar traurige Töne auf der Flöte ...
    »... Isolation...«
    ... die zu einer melancholischen Melodie wurden ...
    »... und Zwang.«
    ... und mit einem langen Ton endeten, der wie ein Seufzer klang.
    »Auf diese Weise«, fuhr Dr. Robert fort, »werden alle möglichen Quellen von Aufregung beseitigt und dem Patienten der Stoff verweigert, aus dem sich seine Phantasien und unschicklichen Vorstellungen speisen.«
    »Aber letztlich«, fügte Dr. John hinzu, »bewirkt der Arzt die Heilung, indem er seinem Patienten den eigenen Willen aufzwingt. Die Charakterstärke des Arztes bestimmt Erfolg oder Versagen der Behandlung. Viele Leute haben beobachtet, dass unser Vater Verrückte bändigte, indem er ihnen einfach in die Augen sah.«
    »Wirklich?«, sagte Strange, der sich trotz aller Vorbehalte dafür zu interessieren begann. »Es ist mir noch nie zuvor in den Sinn gekommen, aber etwas Ähnliches gilt auch für die Zauberei. Es gibt alle möglichen Situationen, in denen der Erfolg des Zauberns von der Charakterstärke des Zauberers abhängt.«
    »Tatsächlich?«, sagte Dr. John und blickte kurz nach links.
    »Ja. Nehmen wir zum Beispiel Martin Pale. Also, er...« Strange blickte unwillkürlich in die Richtung, in die Dr. John geschaut hatte. Einer der Tollhauswärter – der, der nicht mehr sprechen konnte – kroch mit einem blassfarbigen Etwas in den Händen um den Zierteich auf den König zu. Strange begriff zuerst nicht, was es war. Aber dann erkannte er es. Es war die Zwangsjacke.
    Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Strange rief etwas – er wusste nicht, was –, der andere Tollhauswärter machte einen Satz auf den König zu, beide Willise versuchten, Strange festzuhalten, der König blies ein durchdringendes Kreischen auf seiner Flöte, und es ertönte ein seltsames Geräusch, als ob sich hundert Menschen gleichzeitig räusperten.
    Alle hielten inne und schauten sich um. Das Geräusch schien von dem kleinen Pavillon aus Stein in der Mitte des gefrorenen Teichs gekommen zu sein. Plötzlich strömte aus den Mäulern aller steinernen Tiere eine dichte weiße Wolke, als hätten sie alle im selben Augenblick ausgeatmet. Die Atemwolken funkelten und glitzerten im wässrigen nebligen Licht, und dann fielen sie mit einem leisen Klirren aufs Eis.
    Es herrschte Stille, gefolgt von einem schrecklichen Geräusch, als

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