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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Gedanken sind bei den Argumenten des Textes, es juckt ihn in den Fingern, das Buch wieder aufzunehmen. Er trifft seine Nachbarn zwei- oder dreimal im Quartal, denn wir sind in England, wo Nachbarn nie zulassen, dass jemand einsam und ungesellig vor sich hin lebt, und sei es ein noch so trockener und sauertöpfischer Mensch. Sie warten ihm auf, lassen ihre Karten bei seinen Dienstboten, laden ihn zum Abendessen oder zu Tanzveranstaltungen ein. Ihre Absichten sind überwiegend wohlmeinend – sie glauben, dass es schlecht ist, wenn ein Mensch immer allein ist –, aber sie sind auch neugierig und wollen wissen, ob er sich seit der letzten Begegnung verändert hat. Er hat sich nicht verändert. Er hat ihnen nichts zu sagen und gilt als der langweiligste Mann von Yorkshire.
    Aber in seinem kleinen trockenen Herzen nährte Mr. Norrell einen so lebhaften Ehrgeiz, die Zauberei nach England zurückzubringen, dass auch Mr. Honeyfoot zufrieden gewesen wäre, und mit der Absicht, diesen Ehrgeiz nach langem Aufschub endlich in die Tat umzusetzen, hatte sich Mr. Norrell nun entschlossen, nach London überzusiedeln.
    Childermass versicherte ihm, dass der Zeitpunkt günstig sei, und Childermass kannte sich aus in der Welt. Childermass wusste, was für Spiele die Kinder auf der Straße spielten, Spiele, die alle anderen Erwachsenen längst vergessen hatten. Childermass wusste, was alte Menschen vor ihren Kaminen dachten, obwohl sie seit Jahren niemand mehr gefragt hatte. Childermass wusste, was junge Männer im Schlagen der Trommeln und im Blasen der Flöten hörten und sie dazu brachte, von zu Hause wegzugehen und Soldaten zu werden – und er kannte den halben Eierbecher Ruhm und das Fass Elend, die sie erwarteten. Childermass sah einen schlauen Advokaten auf der Straße und wusste, was er in den Taschen seines Rocks bei sich trug. Und alles, was Childermass wusste, machte ihn lächeln; und manches, was er wusste, ließ ihn laut auflachen; und nichts, was er wusste, rang ihm auch nur ein Quäntchen Mitleid ab.
    Als Childermass also zu seinem Meister sagte: »Gehen Sie nach London. Jetzt«, glaubte Mr. Norrell ihm.
    »Das Einzige, was mir nicht gefällt«, sagte Mr. Norrell, »ist dein Plan, dass Mr. Segundus unseretwegen an eine Londoner Zeitung schreiben soll. Er wird bestimmt falsche Dinge schreiben, hast du das bedacht? Ich gehe davon aus, dass er versuchen wird, das Geschehene zu deuten. Diese drittklassigen Gelehrten können nie widerstehen, etwas von sich selbst in den Text zu bringen. Er wird spekulieren – falsch spekulieren –, was für eine Art Zauber ich in York angewandt habe. Es gibt schon zu viel Verwirrung um die Zauberei, wir selbst sollten sie nicht noch vergrößern. Müssen wir Segundus' Dienste in Anspruch nehmen?«
    Childermass bedachte seinen Meister mit seinem finsteren Blick und seinem noch finstereren Lächeln und sagte, sie müssten, ja. »Ich frage mich, Sir«, sagte er, »ob Sie in letzter Zeit von einem Herrn der Kriegsmarine namens Baines gehört haben?«
    »Ich glaube, ich weiß, wen du meinst«, sagte Mr. Norrell.
    »Aha!«, sagte Childermass. »Und wie haben Sie von ihm erfahren?«
    Es folgte ein kurzes Schweigen.
    »Nun ja«, sagte Mr. Norrell widerstrebend, »ich nehme an, dass ich Kapitän Baines Namen in der Zeitung gelesen habe.«
    »Lieutenant Hector Baines diente auf der King of the North , einer Fregatte«, sagte Childermass. »Im Alter von einundzwanzig Jahren verlor er bei einem Gefecht vor den Westindischen Inseln ein Bein und zwei oder drei Finger. Bei derselben Seeschlacht fielen der Kapitän der King of the North und viele Matrosen. Berichte, wonach Lieutenant Baines das Schiff kommandierte und der Mannschaft Befehle erteilte, während der Schiffsarzt sein Bein absägte, sind vermutlich übertrieben, aber er brachte auf jeden Fall ein gefährlich angeschlagenes Schiff aus den Westindischen Inseln heraus, griff ein mit Beute schwer beladenes spanisches Schiff an, gewann damit ein Vermögen und kehrte als Held nach Hause zurück. Er gab der jungen Dame, mit der er verlobt war, den Laufpass und heiratete eine andere. Sir, das ist Baines' Geschichte, wie sie in der Morning Post zu lesen war. Und jetzt erzähle ich Ihnen, was auf die Geschichte hin geschah. Baines stammt wie Sie, Sir, aus dem Norden, ein Mann von obskurer Herkunft und ohne hoch gestellte Freunde, die ihm das Leben hätten erleichtern können. Kurz nach der Hochzeit gingen er und seine Braut nach London und wohnten bei

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