Jonathan Strange & Mr. Norrell
als der Tag; auf mit weißen Tischdecken bedeckten Tischen türmen sich in stattlichen Pyramiden vielfarbige Gewächshausfrüchte; göttliche Wesen, behangen mit funkelnden Juwelen, schlendern Arm in Arm durch die Räume und werden von allen bewundert. Doch die Hitze ist überwältigend, das Gedränge und der Lärm sind fast ebenso schlimm; es gibt keine Sitzplätze und kaum Platz zum Stehen. Man entdeckt seinen liebsten Freund auf der anderen Seite des Raums; man hat ihm viel zu erzählen – aber wie um alles in der Welt soll man zu ihm gelangen? Wenn man Glück hat, stößt man später im Gedränge auf ihn und kann ihm rasch die Hand schütteln, bevor man weitergeschoben wird. Umgeben von schlecht gelaunten, erhitzten Fremden ist die Chance für eine vernünftige Unterhaltung so groß wie in einer afrikanischen Wüste. Man wünscht sich nur, sein Lieblingsgewand vor den schlimmsten Verwüstungen durch die Menge zu bewahren. Alle jammern über die Hitze und die schlechte Luft. Alle erklären, dass es vollkommen unerträglich sei. Aber wenn die Gäste schon leiden, wie groß ist erst das Elend derjenigen, die nicht eingeladen sind. Unsere Leiden sind nichts verglichen mit ihren. Und wir können uns morgen gegenseitig bestätigen, dass es eine wunderbare Party gewesen ist.
Zufällig traf Mr. Norrell zur gleichen Zeit ein wie eine sehr alte Dame. Obwohl sie klein und hässlich war, musste sie eine bedeutende Persönlichkeit sein (sie war über und über mit Diamanten behängt). Mrs. Godesdones Dienstboten scharten sich um sie, und Mr. Norrell betrat unbemerkt das Haus. In einem Raum voller Menschen nahm er ein Glas Punsch von einem kleinen Tisch. Während er ihn trank, ging ihm auf, dass er niemandem seinen Namen genannt hatte, und infolgedessen wusste auch niemand, dass er hier war. Er fragte sich, wie er weiter vorgehen sollte. Die anderen Gäste waren damit beschäftigt, ihre Freunde zu begrüßen, und Mr. Norrell sah sich nicht in der Lage, sich einem Dienstboten zu nähern und sich vorzustellen; ihre stolzen Mienen und ihr unbeschreiblich anmaßendes Gehabe raubten ihm den Mut. Schade, dass nicht ein oder zwei ehemalige Mitglieder der Gilde der Zauberer von York anwesend waren und ihn so verloren und verlegen herumstehen sahen; es hätte sie enorm aufgeheitert. Aber es ergeht uns allen gleich. In einer vertrauten Umgebung sind wir heiter und entspannt, aber man bringe uns an einen Ort, wo wir niemanden kennen und uns niemand kennt, und Gott!, wie unbehaglich uns wird!
Mr. Norrell wanderte von einem Raum in den nächsten und wünschte, er könnte wieder gehen, als er auf seinem Streifzug vom Klang seines eigenen Namens und folgenden rätselhaften Worten aufgehalten wurde: »... versichert mir, dass er nie ohne mitternachtsblauen mystischen Umhang mit anderländischen Symbolen gesehen wird. Aber Drawlight, der diesen Norrell sehr gut kennt, behauptet, dass...«
Aufgrund des großen Lärms im Raum war es ein Wunder, dass Mr. Norrell überhaupt etwas hörte. Eine junge Frau hatte das gesagt, und Mr. Norrell sah sich verzweifelt nach ihr um, aber vergeblich. Er begann sich zu fragen, was sonst noch über ihn erzählt wurde.
Als Nächstes stand er neben einer Dame und einem Herrn. Sie war nicht weiter bemerkenswert – eine vernünftig wirkende Frau von vierzig oder fünfzig Jahren –, er dagegen gehörte zu einer Sorte Mann, wie man sie in Yorkshire normalerweise nicht sah. Er war ziemlich klein und sehr sorgfältig gekleidet, in einen guten schwarzen Rock und ein makellos weißes Hemd. Eine kleine silberne Brille hing ihm an einem schwarzen Samtband um den Hals. Seine Züge waren ebenmäßig und fein; er hatte kurzes dunkles Haar, und seine Haut war rein und weiß – nur auf seinen Wangen schimmerte eine leise Andeutung von Rouge. Aber am auffälligsten waren seine Augen: groß, wohlgeformt, dunkel und so glänzend, dass sie nahezu flüssig wirkten. Sie waren umrandet von unglaublich langen und dunklen Wimpern. Er hatte sich selbst viele kleine feminine Anstriche gegeben, aber seine Augen und Wimpern stammten von Mutter Natur.
Mr. Norrell hörte ihrem Gespräch aufmerksam zu, um herauszufinden, ob auch sie über ihn sprachen.
»... der Rat, den ich Lady Duncombe bezüglich ihrer Tochter gab«, sagte der kleine Mann. »Lady Duncombe hatte einen überaus untadeligen Mann für ihre Tochter gefunden, einen Gentleman mit neunhundert im Jahr! Aber das alberne Mädchen hatte sich einen vollkommen mittellosen
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