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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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verstand Lady Pole sie nicht, »er trifft häufig auf Leute, die ihn bitten, zu ihrem Nutzen zu zaubern. Oder sie haben einen Großneffen, der bei ihm das Zaubern lernen möchte. Oder sie glauben, sie haben einen magischen Schuh oder eine magische Gabel oder so etwas entdeckt. Sie wollen ihm nichts Böses. Ja, im Allgemeinen sind sie sehr ehrerbietig. Doch Mr. Strange gehört nicht zu den geduldigsten Menschen, und so bin ich gezwungen, einzuschreiten und ihn davor zu bewahren, etwas zu sagen, was er besser nicht sagen sollte.«
    Es wurde Zeit für Arabella zu gehen, und sie begann, sich zu verabschieden. Da sie sich nun mehrere Monate lang nicht sehen würden, gab sie sich besondere Mühe, aufmunternde Worte zu finden. »Und ich hoffe, meine liebe Lady Pole«, sagte sie, »dass es Ihnen, wenn wir uns das nächste Mal sehen, viel besser gehen wird und Sie sich vielleicht schon wieder in die Gesellschaft begeben können. Mein innigster Wunsch ist, dass wir uns eines Tages in einem Theater oder in einem Tanzsaal begegnen...«
    »Ein Tanzsaal!«, rief Lady Pole entsetzt aus. »Wie um alles in der Welt kommen Sie darauf? Gott behüte, dass wir uns je in einem Tanzsaal treffen!«
    »Pssst, pssst. Ich wollte Sie nicht aufregen. Ich vergaß, wie sehr Sie es hassen, zu tanzen. Bitte, weinen Sie nicht! Denken Sie nicht darüber nach, es macht Sie unglücklich.«
    Sie tat ihr Bestes, um die Freundin zu beruhigen. Sie umarmte sie, küsste ihre Wange und ihr Haar, streichelte ihr über die Hand, bot ihr etwas Lavendelwasser an. Nichts half. Mehrere Minuten lang war Lady Pole voll und ganz einem Weinkrampf ausgeliefert. Arabella verstand nicht recht, was passiert war. Doch andererseits – war Verständnis überhaupt möglich? Es gehörte zu den Beschwerden Ihrer Ladyschaft, von Geringfügigkeiten in Schrecken versetzt und von Nichtigkeiten ins Unglück gestürzt zu werden. Arabella läutete nach der Zofe.
    Erst als die Zofe auftauchte, versuchte Lady Pole schließlich die Fassung wiederzugewinnen. »Sie verstehen nicht, was Sie da gesagt haben!«, rief sie aus. »Und Gott möge verhindern, dass Sie es je herausfinden, so wie ich es herausgefunden habe. Ich werde versuchen, Sie zu warnen – ich weiß, es ist sinnlos, aber ich werde es versuchen. Hören Sie auf mich, meine liebe, liebe Mrs. Strange. Hören Sie auf mich, als würden Ihre Hoffnungen auf ewige Erlösung davon abhängen!«
    Arabella blickte sie so aufmerksam wie möglich an.
    Aber es war wie immer, wenn Ihre Ladyschaft ankündigte, sie habe Arabella etwas besonders Wichtiges mitzuteilen. Sie sah blass aus, holte mehrmals tief Atem – und machte sich dann daran, eine ziemlich merkwürdige Geschichte über den Besitzer einer Bleimine in Derbyshire zu erzählen, der sich in ein Milchmädchen verliebt hatte. Das Milchmädchen verkörperte alles, worauf der Minenbesitzer je gehofft hatte, außer dass ihr Abbild immer ein paar Minuten zu spät im Spiegel auftauchte, ihre Augen bei Sonnenuntergang die Farbe wechselten und man häufig sehen konnte, wie ihr Schatten wild tanzte, während sie still dasaß.
    Nachdem Lady Pole nach oben gegangen war, blieb Arabella noch eine Weile allein sitzen. Wie dumm von mir, dachte sie. Wo ich doch wusste, dass jede Erwähnung des Tanzens sie unermesslich verstört. Wie konnte ich nur so nachlässig sein? Ich frage mich, was sie mir erzählen wollte? Ich frage mich, ob sie es selbst weiß? Das arme Ding. Ohne die Segnungen von Gesundheit und Verstand sind Reichtum und Schönheit in der Tat wertlos.
    Während sie sich derartige Vorwürfe machte, veranlasste sie ein leises Geräusch in ihrem Rücken, sich umzudrehen. Umgehend erhob sie sich aus dem Sessel und lief rasch und mit ausgestreckten Händen zur Tür.
    »Sie sind es! Wie froh ich bin, Sie zu sehen! Kommen Sie. Schütteln Sie mir die Hand. Dies wird unser letztes Treffen für längere Zeit sein.«
    An diesem Abend sagte sie zu Strange: »Wenigstens einer freut sich darüber, dass du deine Aufmerksamkeit jetzt dem Studium von John Uskglass und seinen Elfenuntertanen zuwendest.«
    »Ach? Und wer ist das?«
    »Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle.«
    »Wer?«
    »Der Herr, der bei Sir Walter und Lady Pole lebt. Ich habe dir schon einmal von ihm erzählt.«
    »Ach ja. Ich erinnere mich.« Es folgte ein kurzes Schweigen, während Strange darüber nachdachte. »Arabella!«, rief er plötzlich aus. »Soll das heißen, du weißt immer noch nicht, wie er heißt?« Er begann zu

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