Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
verstörend.«
    »Gebrochene Knochen und Rüstungen?«, wiederholte Arabella. »Nein, wirklich nicht. Sie missverstehen mich. Die Schlachten haben vor langer Zeit stattgefunden. Es gibt nichts mehr zu sehen – sicherlich nichts, was einen verstört.«
    »Dennoch wurden zu gewissen Zeiten«, setzte Lady Pole fort und achtete kaum auf Arabella, »fast überall Schlachten ausgefochten. Ich erinnere mich, dass ich in der Schule gelernt habe, dass London einst Schauplatz einer besonders erbitterten Schlacht war. Die Leute wurden auf grässliche Weise umgebracht, und die Stadt brannte bis auf die Grundmauern ab. Die Schatten von Gewalt und Elend umgeben uns an jedem Tag unseres Lebens, und es scheint mir ziemlich einerlei, ob es davon sichtbare Überreste gibt oder nicht.«
    Irgendetwas im Zimmer hatte sich verändert. Es war, als hätten kalte graue Flügel über ihren Köpfen geschlagen, oder als wäre jemand durch den Spiegel gegangen und habe einen Schatten ins Zimmer geworfen. Es handelte sich um ein seltsames Spiel des Lichts, das Arabella häufig festgestellt hatte, wenn sie mit Lady Pole zusammensaß. Weil sie nicht wusste, womit es sonst zu tun haben sollte, nahm sie an, dass die vielen Spiegel im Raum dafür verantwortlich waren.
    Lady Pole erschauderte und wickelte sich fester in ihren Schal. Arabella beugte sich vor und nahm ihre Hand. »Kommen Sie! Denken Sie an etwas Erfreulicheres.«
    Lady Pole sah sie ausdruckslos an. Sie wusste ebenso wenig, wie man sich freute, wie sie fliegen konnte.
    Also begann Arabella zu reden und hoffte, sie eine Weile von ihren düsteren Gedanken abzulenken. Sie sprach über neue Geschäfte und neue Moden. Sie beschrieb einen hübschen elfenbeinfarbenen Sarsanett, den sie in einem Fenster in der Friday Street gesehen hatte, und einen Satz türkiser Glasperlen, die sie irgendwo anders gesehen hatte und die hervorragend zu dem Sarsanett passen würden. Sie plauderte weiter und erzählte, was ihr Schneider über Glasperlen zu sagen hatte, und beschrieb dann eine seltene Pflanze, die dem Schneider gehörte und die in einem Topf auf einem kleinen Eisenbalkon vor dem Fenster stand und binnen eines Jahres so stark gewachsen war, dass sie nun das Fenster eines Kerzenziehers im darüber liegenden Stockwerk verdunkelte. Es folgten weitere überraschend hohe Pflanzen – Jack und die Bohnenstange, der Riese an der Spitze der Bohnenstange, Riesen und Riesentöter im Allgemeinen, Napoleon Buonaparte und der Herzog von Wellington, die Verdienste des Herzogs in jeder Lebenslage außer in einer – das große Unglück der Herzogin.
    »Zum Glück ist es etwas, was Sie und ich nie erlebt haben«, endete sie ein wenig atemlos. »Sich vom Anblick des eigenen Mannes, der anderen Frauen seine Aufmerksamkeit schenkt, ständig den Seelenfrieden rauben lassen zu müssen.«
    »Vermutlich«, antwortete Lady Pole etwas zweifelnd.
    Dies verstimmte Arabella. Sie versuchte Verständnis für all die merkwürdigen Eigenschaften Lady Poles aufzubringen, doch sie konnte sich kaum dazu überwinden, ihr die ständige Kälte gegenüber ihrem Ehemann nachzusehen. Jedes Mal, wenn Arabella in die Harley Street ging, stellte sie fest, wie hingebungsvoll Sir Walter sich Lady Pole gegenüber verhielt. Sobald er glaubte, irgendetwas könnte sie erfreuen oder ihr Leiden auch nur im Geringsten lindern, war die Sache augenblicklich getan, und Arabella konnte die spärliche Erwiderung auf seine Mühen nicht beobachten, ohne einen Stich im Herzen zu verspüren. Nicht, dass Lady Pole irgendeine Art von Abneigung gegen ihn an den Tag legte; aber manchmal schien sie kaum zu wissen, dass er existierte.
    »Oh! Aber Sie wissen gar nicht zu schätzen, was für ein Segen das ist«, sagte Arabella. »Einer der schönsten Segen in unserem Leben.«
    »Was meinen Sie?«
    »Die Liebe Ihres Ehemanns.«
    Lady Pole sah überrascht aus. »Ja, er liebt mich«, sagte sie schließlich. »Zumindest behauptet er das. Aber was habe ich davon? Es hat mich nie gewärmt, wenn mir kalt war – und mir ist immer kalt, wissen Sie. Es hat nie einen endlosen, langweiligen Ball auch nur um eine Minute verkürzt oder einen Umzug durch lange, dunkle, geisterhafte Flure unterbrochen. Es hat mich noch nie vor irgendeinem Elend beschützt. Hat die Liebe Ihres Mannes Sie je vor irgendetwas beschützt?«
    »Mr. Strange?« Arabella lächelte. »Nein, noch nie. Gewöhnlich muss ich eher ihn beschützen! Ich meine«, fügte sie rasch hinzu, denn ganz offensichtlich

Weitere Kostenlose Bücher