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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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marschierte nach Norden auf Paris zu, um weiterhin die ihm zugedachte Vorsehung zu erfüllen, nämlich gegen alle Völker der Welt Krieg zu führen. Natürlich war er eifrig bedacht, sich wieder als Kaiser einzusetzen, doch noch war nicht bekannt, als Kaiser wovon . Er hatte immer danach gestrebt, es Alexander dem Großen gleichzutun, daher nahm man an, er werde sich nach Osten begeben. In Ägypten war er schon einmal einmarschiert, und nicht ohne Erfolg. Er mochte sich auch nach Westen begeben: Es gab Gerüchte über eine Schiffsflotte, die in Cherbourg bereitlag und darauf wartete, ihn nach Amerika zu bringen, wo er sich an die Eroberung einer unverbrauchten, neuen Welt machen konnte.
    Doch wofür auch immer er sich entscheiden würde, so war sich doch jeder sicher, dass er zunächst einmal in Belgien einmarschieren würde. Also begab sich der Herzog von Wellington nach Belgien, um auf die Ankunft von Europas Großem Feind zu warten.
    Die englischen Zeitungen waren voller Gerüchte: Buonaparte habe ein Heer zusammengestellt; er sei mit erschreckender Geschwindigkeit in Richtung Belgien vorgerückt; er sei dort; er habe gesiegt. Am nächsten Tag wiederum wurde berichtet, dass er sich nach wie vor in seinem Palast in Paris aufhalte, den er noch kein einziges Mal verlassen habe.
    Ende Mai folgte Jonathan Strange Wellington und der Armee nach Brüssel. Er hatte die letzten drei Monate in aller Ruhe in Shropshire verbracht und über Zauberei nachgedacht. Deshalb war es kaum erstaunlich, dass er zunächst etwas verwirrt war. Doch nachdem er ein, zwei Stunden lang herumgelaufen war, kam er zu dem Schluss, dass der Fehler nicht bei ihm, sondern bei Brüssel zu suchen war. Er wusste, wie eine Stadt aussah, die sich im Krieg befand, nämlich nicht so wie diese. Eigentlich müssten Kompanien von Soldaten auf und ab marschieren, und es müssten Versorgungsfuhrwerke und ängstliche Gesichter zu sehen sein. Stattdessen erblickte er modische Geschäfte und Damen, die in hübschen Kutschen herumfuhren. Gut, überall standen grüppchenweise Offiziere, doch keiner von ihnen, so schien es, beabsichtigte, irgendwelchen militärischen Tätigkeiten nachzugehen (einer von ihnen verwandte ein großes Maß an Konzentration und Anstrengung darauf, den Spielzeugsonnenschirm eines kleinen Mädchens zu reparieren). Man hörte sehr viel mehr Gelächter und Frohsinn, als angesichts des drohenden Einmarsches von Napoleon Buonaparte angebracht waren.
    Eine Stimme rief seinen Namen. Er drehte sich um und erblickte Oberst Manningham, einen Bekannten, der Strange umgehend einlud, ihn zu Lady Charlotte Greville zu begleiten. (Es handelte sich hierbei um eine in Brüssel lebende Engländerin.) Strange wandte ein, er habe keine Einladung; außerdem müsse er ohnehin weiter, um den Herzog zu suchen. Doch Manningham behauptete, eine fehlende Einladung sei kein Hinderungsgrund -Strange wäre sicherlich willkommen –, und die Wahrscheinlichkeit, den Herzog in Lady Charlotte Grevilles Salon zu finden, sei genauso groß wie anderswo.
    Zehn Minuten später befand sich Strange in einer luxuriösen Wohnung voller Menschen, von denen er viele bereits kannte. Offiziere, schöne Damen, elegante Herren, britische Politiker und Vertreter des britischen Hochadels von, wie es schien, jedem Rang und Namen. Sie alle diskutierten lautstark den Krieg und machten ihre Witze. Dies war eine neue Vorstellung für Strange: Krieg als modische Unterhaltung. In Spanien und Portugal war es unter den Soldaten üblich gewesen, sich als Märtyrer, Geschmähte und Vergessene anzusehen. Die Berichte in den britischen Zeitungen hatten es immer darauf abgesehen, die Situation so düster wie möglich darzustellen. Doch hier in Brüssel war es die vornehmste Sache der Welt, ein Offizier Seiner Durchlaucht zu sein – und die zweitvornehmste, der Zauberer Seiner Durchlaucht zu sein.
    »Will Wellington wirklich, dass all die Leute hier sind?«, flüsterte Strange Manningham erstaunt zu. »Was ist, wenn die Franzosen angreifen? Ich wünschte, ich wäre nicht gekommen. Bestimmt wird mich bald irgendjemand nach meiner Meinungsverschiedenheit mit Norrell fragen, und ich möchte wirklich nicht darüber sprechen.«
    »Unsinn!«, antwortete Manningham ebenfalls im Flüsterton. »Das interessiert hier keinen Menschen. Wie auch immer: Da ist der Herzog!«
    Ein wenig Geschäftigkeit kam auf, und der Herzog trat ein. »Ah, Merlin!«, rief er und strahlte Strange an. »Ich freue mich so sehr, Sie zu

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