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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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sehen. Geben Sie mir die Hand. Sie kennen natürlich den Herzog von Richmond. Nein? Dann darf ich Sie vorstellen.«
    Die Runde war bereits vorher lebhaft gewesen, aber um wie viel angeregter wurde sie nun, da Seine Durchlaucht da war. Sämtliche Blicke wanderten in seine Richtung, um herauszufinden, mit wem er sich unterhielt und (noch interessanter) mit wem er flirtete. Wenn man ihn ansah, so machte er nicht den Eindruck, als sei er zu irgendeinem anderen Zweck nach Brüssel gekommen, als sich zu amüsieren. Doch jedes Mal, wenn Strange versuchte, sich zu entfernen, hielt der Herzog ihn mit dem Blick fest, so als wollte er sagen: »Nein, Sie müssen hier bleiben. Ich brauche Sie.« Schließlich neigte er den Kopf zu Strange und flüsterte ihm, immer noch lächelnd, ins Ohr: »Dort hinten, das sollte gehen. Kommen Sie mit! Am anderen Ende gibt es einen Wintergarten. Dort sind wir ungestört.«
    Sie ließen sich zwischen Palmen und anderen exotischen Pflanzen nieder.
    »Ein Wort der Warnung«, sagte der Herzog. »Das hier ist nicht Spanien. In Spanien waren die Franzosen der von allen Männern, Frauen und Kindern des Landes gehasste Feind. Doch hier verhalten sich die Dinge ganz anders. Buonaparte hat Freunde in jeder Straße und in großen Teilen der Armee. Die Stadt ist voller Spione. Und deshalb ist es unsere Aufgabe – Ihre und meine –, so auszusehen, als wäre seine Niederlage das Sicherste auf der Welt. Lächeln Sie, Merlin! Trinken Sie Tee. Das wird Ihre Nerven beruhigen.«
    Strange versuchte sich an einem unbeschwerten Lächeln, doch es verwandelte sich umgehend in ein besorgtes Stirnrunzeln, und um Seine Durchlaucht von den Unzulänglichkeiten seines Gesichts abzulenken, erkundigte er sich danach, was Seine Durchlaucht von der Armee halte.
    »Ach, es ist bestenfalls eine schlechte Armee. Die mannigfaltigste Armee, über die ich je das Kommando hatte. Briten, Belgier, Holländer und Deutsche – alle durcheinander gewürfelt. Es ist, als versuche man, aus einem halben Dutzend verschiedener Materialien eine Mauer zu bauen. Jedes Material mag auf seine Art hervorragend sein, aber man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob das Ganze zusammenhalten wird. Doch die Preußische Armee hat versprochen, mit uns zu kämpfen. Und Blücher ist ein hervorragender alter Kerl. Liebt den Kampf.« (Dies war der preußische General.) »Leider ist er verrückt. Er glaubt, er ist schwanger.«
    »Ach!«
    »Er erwartet einen kleinen Elefanten.«
    »Ach!«
    »Aber Sie müssen sofort an die Arbeit gehen. Haben Sie Ihre Bücher? Ihre Silberschale? Einen Platz, an dem Sie arbeiten können? Ich habe die bestimmte Vorahnung, dass Buonaparte erst im Westen auftauchen wird, aus Richtung Lille. Das ist sicherlich die Route, die ich wählen würde, und mir liegen Briefe von unseren Freunden in der Stadt vor, die mich darin bestätigen, dass er stündlich dort erwartet wird. Das ist Ihre Aufgabe. Beobachten Sie die Grenzen nach Westen und achten Sie auf Zeichen, die auf sein Näherrücken hinweisen. Wenn Sie auch nur einen flüchtigen Blick auf die französischen Truppen erhaschen, geben Sie mir sofort Bescheid.«
    Während der folgenden vierzehn Tage beschwor Strange Visionen der Orte herauf, an denen dem Herzog zufolge die Franzosen auftauchen konnten. Der Herzog lieferte ihm zwei Dinge zur Unterstützung: eine große Landkarte und einen jungen Offizier namens William Hadley-Bright.
    Hadley-Bright war einer jener glücklichen Menschen, für die Fortuna ihre erlesensten Gaben bereithält. Ihm fiel alles in den Schoß. Er war das einzige, angebetete Kind einer reichen Witwe. Er hatte sich eine Karriere beim Militär gewünscht; seine Freunde besorgten ihm eine Offiziersstelle in einem begehrten Regiment. Er hatte sich Aufregung und Abenteuer gewünscht; der Herzog von Wellington hatte ihn zu einem seiner aides-de-camp gemacht. Und als er dann beschlossen hatte, dass er einzig die englische Zauberei noch mehr liebte als das Soldatenleben, ernannte ihn der Herzog zum Assistenten des erhabenen und geheimnisvollen Jonathan Strange. Doch nur extrem verbitterte Menschen konnten Hadley-Bright seinen Erfolg verübeln; alle anderen waren von seiner Freundlichkeit und seinem guten Wesen entwaffnet.
    Tag für Tag untersuchten Strange und Hadley-Bright alte befestigte Städte im Westen Belgiens; sie spähten durch trostlose Dorfstraßen; sie beobachteten öde, leere Felder unter noch öderen Aquarellwolken. Doch die Franzosen ließen sich nicht

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