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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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gehen und ihn nach seiner Meinung fragen konnte. Und jetzt steht fest, dass ich die wirklich wichtigen Bücher weder sehen noch riechen darf. Wie soll ein Zauberer ohne Bücher existieren? Das soll mir mal jemand erklären. Es ist, als würde man von einem Politiker verlangen, ohne Bestechung oder Beziehungen an ein hohes Amt zu kommen.«
    Sir Walter fasste diese ausgesprochen unhöfliche Bemerkung nicht als persönliche Beleidigung auf, sondern bewies angesichts Stranges gereizter Stimmung barmherzige Nachsichtigkeit. Als Schüler in Harrow hatte man ihn gezwungen, die Geschichte der Zauberei zu studieren (was er gehasst hatte), und auf der Suche nach der Erinnerung an irgendetwas Nützliches ließ er nun seine Gedanken dorthin zurückschweifen. Er stellte fest, dass er sich an nicht viel erinnerte – es hätte höchstens, dachte er trocken, ein kleines Weinglas zur Hälfte gefüllt.
    Er dachte kurz nach und machte schließlich folgenden Vorschlag: »Wenn ich es recht verstehe, dann hat der Rabenkönig sein ganzes Wissen um die englische Zauberei ohne Hilfe von Büchern erworben – denn damals gab es keine in England. Vielleicht können Sie es genauso machen?«
    Strange warf ihm einen sehr kühlen Blick zu. »Und wenn ich es recht verstehe, dann war der Rabenkönig das Lieblingspflegekind König Oberons, was ihm, neben anderen Kleinigkeiten, eine hervorragende Ausbildung zum Zauberer und ein großes eigenes Königreich einbrachte. Ich nehme an, ich könnte es auch mal damit versuchen, mich in entlegenen Unterholzen und auf moosbewachsenen Waldlichtungen herumzutreiben, in der Hoffnung, von irgendeinem Elfenkönig entdeckt zu werden. Aber ich glaube, man würde mich für diesen Zweck als etwas zu groß geraten befinden.«
    Sir Walter lachte. »Und was werden Sie nun machen, ohne Mr. Norrell, der die Tage für Sie gefüllt hat? Soll ich Robson im Außenministerium sagen, er möge Sie um ein wenig Zauberei bitten? Erst letzte Woche hat er sich beklagt, dass er warten müsse, bis all die Aufgaben der Admiralität und des Schatzamtes erledigt sind. Vorher kann Mr. Norrell sich nicht um ihn kümmern.«
    »Unbedingt. Aber sagen Sie ihm, ich habe erst in zwei oder drei Monaten Zeit. Wir fahren nach Shropshire. Arabella und ich sehnen uns danach, mal wieder zu Hause zu sein, und jetzt, wo wir uns nicht mehr nach Mr. Norrell richten müssen, hält uns nichts mehr von der Reise ab.«
    »Ach«, sagte Sir Walter. »Aber Sie werden nicht sofort abreisen?«
    »In zwei Tagen.«
    »So bald schon?«
    »Nun blicken Sie nicht so betroffen drein! Wirklich, Pole, ich hatte keine Ahnung, dass Sie so versessen auf meine Gesellschaft sind.«
    »Bin ich auch nicht – ich dachte an Lady Pole. Es wird eine traurige Veränderung für sie sein. Sie wird ihre Freundin vermissen.«
    »Ach ja«!, sagte Strange etwas unbehaglich. »Natürlich.«
    Etwas später am Vormittag stattete Arabella Lady Pole ihren Abschiedsbesuch ab. Fünf Jahre hatten die Schönheit der Ladyschaft kaum und ihre traurige Verfassung überhaupt nicht verändert. Sie war so schweigsam wie immer und reagierte völlig unbeteiligt auf jeden Kummer und jedes Vergnügen. Freundlichkeit oder Kälte ließen sie gleichermaßen ungerührt. Sie saß am Fenster des venezianischen Salons im Haus in der Harley Street und verbrachte so ihre Tage. Sie zeigte nie auch nur den geringsten Wunsch nach Beschäftigung, und Arabella war ihr einziger Besuch.
    »Ich wünschte, Sie blieben hier«, sagte Lady Pole, als Arabella ihr die Neuigkeiten überbrachte. »Wie ist es in Shropshire?«
    »Oh! Ich fürchte, mein Urteil ist sehr voreingenommen. Ich glaube, die meisten Leute würden mir zustimmen, dass es sich um eine hübsche Gegend mit grünen Hügeln und Wäldern und idyllischen Landstraßen handelt. Natürlich müssen wir auf den Frühling warten, um es vollständig zu genießen. Aber selbst im Winter kann die Aussicht hinreißend sein. Es ist ein besonders romantischer Landstrich mit einer edlen Vergangenheit. Es gibt dort verfallene Schlösser und Steine, die weiß Gott wer auf die Anhöhen gelegt hat, und weil es so nahe an Wales liegt, wurde oft darum gekämpft – in fast jedem Tal gibt es alte Schlachtfelder.«
    »Schlachtfelder!«, sagte Lady Pole. »Ich weiß nur zu gut, wie das ist. Aus dem Fenster zu blicken und gebrochene Knochen und rostige Rüstungen zu sehen, wohin man schaut. Es ist ein sehr melancholischer Anblick. Ich hoffe, Sie empfinden ihn nicht als allzu

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