Jonathan Strange & Mr. Norrell
sah im Hof einen sehr kleinen und sich ungewöhnlich verhaltenden Regenschauer. Der Schauer traf nur die Mitte des Hofes und ließ die Mauern völlig unberührt. Sir Charles war neugierig genug, um hinauszugehen und genauer nachzusehen. Dort, mit Hilfe der Regentropfen in den Staub geschrieben, stand die folgende Botschaft:
Brüssel, 15. Juni 1815
Die 3. Division sofort nach Quatre Bras verlegen .
Wellington
In der Zwischenzeit hatten holländische und belgische Generäle selbst herausgefunden, dass die Franzosen vor Quatre Bras standen, und hatten sich mit der 2. Niederländischen Division auf den Weg dorthin gemacht. Folglich waren diese Generäle (die Rebecq und Perponcher hießen) eher verärgert als erfreut, als eine große Anzahl Singvögel sich in den Bäumen niederließ und zu singen begann:
Lasst uns des Herzogs Plan darlegen
In Quatre Bras ist der Franzos' zugegen
Sämtliche Truppen soll'n sich dorthin bewegen
Und an die Wegscheid' sich begeben .
»Ja doch, das wissen wir!«, rief General Perponcher und gestikulierte wild, um die Vögel zu verscheuchen. »Weg mit euch, ihr verdammten Dinger!« Doch die Vögel flogen nur noch näher heran, einige setzten sich sogar auf seine Schultern und auf sein Pferd. Sie sangen eifrigst weiter:
Dort lässt sich guter Ruf gewinnen
Ihr sollt euch ohne Angst besinnen!
Die Pläne der Armee soll'n nun beginnen
Wir wollen doch den Sieg erringen!
Die Vögel begleiteten die Soldaten den ganzen Tag über, ohne auch nur einen Moment lang mit ihrem Gezwitscher und diesem nervenaufreibenden Lied auszusetzen. General Rebecq – der hervorragend Englisch sprach – gelang es, einen der Vögel einzufangen, und, in der Hoffnung, er möge zu Jonathan Strange zurückfliegen und es ihm vorsingen, versuchte, ihm ein anderes Lied beizubringen:
Des Herzogs Zauberer ist ein großes Licht .
Es leuchtet von Brüssel bis Maastricht
Aber ehrliche Männer quält man nicht
Auf dem Weg von Brüssel nach Maastricht. 96
Um sechs Uhr brachte Strange Brüssel wieder auf europäischen Boden zurück. Die Regimenter, die in der Innenstadt untergebracht waren, setzten sich sofort in Marsch: durch die Porte de Namur auf die Straße, die nach Quatre Bras führte. Nachdem dies erledigt war, konnte Strange seine eigenen Kriegsvorbereitungen treffen. Er suchte seine Silberschale, ein halbes Dutzend Zauberbücher, ein paar Pistolen, einen leichten Sommerrock, der über mehrere ungewöhnlich tiefe Taschen verfügte, ein Dutzend hart gekochte Eier, drei Flaschen Branntwein, mehrere, in Papier verpackte Schweinepasteten und einen sehr großen Regenschirm aus Seide zusammen.
Nachdem er am nächsten Morgen alle diese Notwendigkeiten in den verschiedenen Taschen seiner Kleidung und auf seinem Pferd verstaut hatte, ritt er mit dem Herzog und dessen Stab los zu der Kreuzung bei Quatre Bras. Dort hatten sich mittlerweile mehrere tausend alliierte Soldaten versammelt, doch die Franzosen mussten sich erst noch zeigen. Von Zeit zu Zeit war eine Muskete zu hören, aber das war kaum mehr als das, was man in irgendeinem englischen Wald hörte, in dem die Herren jagen. Strange blickte sich um, als eine Singdrossel sich auf seiner Schulter niederließ und zu zirpen begann:
Lasst uns des Herzogs Plan darlegen
In Quatre Bras ist der Franzos' zugegen .
»Was?«, murmelte Strange. »Was tust du denn hier? Du hättest eigentlich schon vor Stunden verschwinden sollen!« Er machte Omskirks Zeichen, um den Zauber zu verscheuchen, und der Vogel flog davon. Tatsächlich flog zu seiner Bestürzung im selben Moment ein ganzer Vogelschwarm davon. Er sah sich nervös um, um festzustellen, ob jemand bemerkt hatte, dass er das Zauberstück verkorkst hatte; doch alle schienen mit militärischen Belangen beschäftigt zu sein, und er schloss daraus, dass es niemandem aufgefallen war.
Er fand eine Stellung ganz nach seinem Geschmack – in einem Graben direkt vor einem Bauernhaus in Quatre Bras. Die Kreuzung lag direkt zu seiner Rechten und die 92. Gordon Highlanders zu seiner Linken. Er nahm die hart gekochten Eier aus den Taschen und bot sie den Highlanders an, die sie, wie sie zu verstehen gaben, gern aßen. (In Friedenszeiten braucht man normalerweise eine Art Empfehlung, um Bekanntschaft zu schließen; im Krieg kann etwas Essbares diese Aufgabe erfüllen.) Die Highlanders boten ihm im Gegenzug süßen Tee mit Milch an, und bald plauderten sie sehr kameradschaftlich miteinander.
Der Tag war unermesslich heiß. Die Straße
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