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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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die Glocke war erst der Anfang, Sir.«
    »Oh«, sagte Strange ein wenig unwillig. »Also gut. Reden Sie weiter.«
    »Ich ritt den Hügel weiter hinauf, bis ich auf seinem Kamm den Dyke sehen konnte. Dort stehen ein paar krumme Bäume, ein paar verfallene Mauern aus losen Steinen. Ich blickte nach Süden und sah eine Dame, die den Dyke entlang sehr schnell in meine Richtung ging...«
    »Eine Dame!«
    »Ich sah sie sehr deutlich. Ihr Haar war offen und vom Wind zerwühlt, so dass es sich um ihren Kopf schlängelte.« Mr. Hyde gestikulierte, um zu zeigen, wie das Haar der Dame in der verschneiten Luft tanzte. »Ich glaube, ich rief ihr etwas zu. Ich weiß, dass sie sich mir zuwandte und mich anblickte, aber sie blieb nicht stehen und wurde auch nicht langsamer. Sie wandte sich wieder ab und lief mit all den Schneegespenstern, die sie umgaben, neben dem Dyke weiter. Sie trug lediglich ein schwarzes Kleid. Kein Tuch. Keinen Pelzmantel. Und deshalb fürchtete ich um sie. Ich dachte, dass sie vielleicht einen schrecklichen Unfall erlitten hatte. Also trieb ich mein Pferd an, bergan, so schnell das arme Tier laufen konnte. Ich versuchte die ganze Zeit, sie nicht aus den Augen zu verlieren, doch der Wind wehte mir ständig Schnee ins Gesicht. Als ich den Dyke erreichte, war sie nirgends zu sehen. Also ritt ich am Dyke hin und her. Ich hielt nach ihr Ausschau und schrie, bis ich heiser wurde – ich war mir sicher, dass sie hinter einem Steinhaufen oder Schneehaufen abgestürzt oder über einen Kaninchenbau gestolpert war. Oder von der Person entführt worden war, die ihr schon vorher Schreckliches angetan hatte.«
    »Schreckliches?«
    »Nun, Sir, ich nahm an, dass sie von jemandem, der es böse mit ihr meinte, zum Dyke gebracht worden war. Man hört heutzutage ja solche furchtbaren Geschichten.«
    »Kannten Sie die Dame?«
    »Ja, Sir.«
    »Wer war es?«
    »Mrs. Strange.«
    Es folgte ein Augenblick des Schweigens.
    »Aber das ist nicht möglich«, sagte Strange verblüfft. »Mr. Hyde, wenn Mrs. Strange irgendetwas Besorgnis erregendes zugestoßen wäre, dann hätte man mir das gewiss berichtet. Ich schließe mich nicht mit meinen Büchern ein. Es tut mir Leid, Mr. Hyde, aber Sie täuschen sich. Wer auch immer diese arme Frau war, es war nicht Mrs. Strange.«
    Mr. Hyde schüttelte den Kopf. »Sir, wenn ich Sie in Shrewsbury oder in Ludlow träfe, dann würde ich Sie vielleicht nicht sofort erkennen. Doch Mrs. Stranges Vater war siebenundvierzig Jahre lang Hilfspfarrer in meiner Gemeinde. Ich kenne Mrs. Strange -Miss Woodhope, wie sie damals noch hieß –, seit sie als kleines Kind ihre ersten Schritte im Kirchhof von Clunbury tat. Selbst wenn sie mich nicht angeblickt hätte – ich hätte sie erkannt. Ich hätte sie an ihrer Statur, an ihrer Art zu gehen, an allem erkannt.«
    »Was haben Sie gemacht, nachdem sie die Frau aus den Augen verloren hatten?«
    »Ich bin geradewegs hierher geritten – aber Ihr Diener wollte mich nicht einlassen.«
    »Jeremy? Der Mann, mit dem Sie gerade sprachen?«
    »Ja. Er sagte mir, Mrs. Strange sei zu Hause und in Sicherheit. Ich glaubte ihm nicht, muss ich gestehen, also lief ich um Ihr Haus herum und schaute durch sämtliche Fenster, bis ich sie in diesem Zimmer auf dem Sofa sitzen sah.« Mr. Hyde deutete auf das fragliche Sofa. »Sie trug ein hellblaues Kleid – und keineswegs ein schwarzes.«
    »Nun, daran ist nichts Besonderes. Mrs. Strange trägt nie schwarz. Es ist keine Farbe, die ich gern an einer jungen Frau sehe.«
    Mr. Hyde schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Ich wünschte, ich könnte Sie von dem, was ich gesehen habe, überzeugen, Sir. Aber ich merke, dass es mir nicht gelingt.«
    »Und ich wünschte, ich könnte es Ihnen erklären. Aber ich kann es nicht.«
    Beim Abschied gaben sie sich die Hand. Mr. Hyde blickte Strange ernst an und sagte: »Ich habe ihr nie etwas Böses gewünscht, Mr. Strange. Niemand könnte dankbarer dafür sein als ich, dass sie in Sicherheit ist.«
    Strange verneigte sich kurz. »Und wir wollen dafür sorgen, dass es so bleibt.«
    Die Tür schloss sich hinter Mr. Hyde.
    Strange wartete einen Augenblick und machte sich dann auf die Suche nach Jeremy. »Warum hast du mir nicht erzählt, dass er schon einmal hier war?«
    Jeremy machte ein schnaubendes, verächtliches Geräusch. »Ich wüsste, glaube ich, Besseres, als Sie mit einem solchen Unsinn zu behelligen. Damen in schwarzen Kleidern, die in Schneestürmen umherspazieren!«
    »Ich hoffe, du

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