Jonathan Strange & Mr. Norrell
du meinst, werde ich dich mit Freuden so viel über sie ausfragen, wie dir lieb ist. Ist sie blond oder dunkel? Ein dunkler Teint oder eher ein blasser? Spielt sie lieber Klavier oder Harfe? Was sind ihre Lieblingsbücher?«
Henry, der vermutete, dass Strange sich über ihn lustig machte, runzelte die Stirn und schien keine Lust mehr zu verspüren, weiterhin über die Dame zu reden.
Arabella warf ihrem Mann einen kühlen Blick zu und erkundigte sich auf etwas sanftere Art. Damit entlockte sie Henry bald die folgenden Auskünfte: Miss Watkins war erst kürzlich in die Gegend von Great Hitherden gezogen; ihr Vorname lautete Sophronia; sie lebte mit ihren Vormündern, Mr. und Mrs. Swoonfirst (mit denen sie entfernt verwandt war), zusammen; sie las leidenschaftlich gern (obwohl Henry nicht genau wusste, was); ihre Lieblingsfarbe war Gelb; und sie hegte eine besondere Abneigung gegen Ananas.
»Und wie sieht sie aus? Ist sie hübsch?«, fragte Strange.
Die Frage schien Henry in Verlegenheit zu bringen.
»Miss Watkins wird im Allgemeinen nicht als die Schönste im Lande angesehen, nein. Aber wenn man sie näher kennen lernt, wisst ihr – das ist sehr viel wert. Menschen beiderlei Geschlechts, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken, kommen einem fast hübsch vor, wenn man sie etwas näher kennen lernt. Ein gebildeter Verstand, gute Manieren und ein freundliches Wesen – all das trägt für einen Ehemann wahrscheinlich sehr viel mehr zu seinem Glück bei als vergängliche Schönheit.«
Strange und Arabella waren von diesem Vortrag etwas überrascht. Nach einer Weile fragte Strange: »Geld?«
Henrys Blick drückte leisen Triumph aus. »Zehntausend Pfund«, sagte er.
»Mein lieber Henry!«, rief Strange.
Als sie etwas später allein waren, sagte Strange zu Arabella: »Wenn ich es richtig verstanden habe, dann kann man Henry zu seiner Schlauheit beglückwünschen. Er hat die Dame, so scheint es, gefunden, bevor jemand anders es tat. Ich vermute, sie wurde nicht gerade mit Angeboten überschüttet – es gibt irgendetwas in ihrem Gesicht oder an ihrer Gestalt, das sie vor einer zu umfassenden Bewunderung schützt.«
»Aber ich glaube nicht, dass es nur das Geld sein kann«, sagte Arabella, die dazu neigte, ihren Bruder zu verteidigen. »Ich glaube, es ist auch Zuneigung im Spiel. Sonst wäre Henry so etwas nie eingefallen.«
»Nein, vermutlich nicht«, sagte Strange. »Henry ist ein guter Kerl. Und außerdem mische ich mich, wie du weißt, nie ein.«
»Du lächelst«, sagte Arabella, »wozu du kein Recht hast. Ich war seinerzeit genauso schlau wie Henry. Ich glaube nicht, dass es irgendeiner eingefallen wäre, dich mit deiner langen Nase und deinem wenig liebenswürdigen Naturell zu heiraten, bis es mir in den Sinn kam.«
»Das stimmt«, sagte Strange nachdenklich. »Das hatte ich vergessen. Die Schwäche liegt wohl in der Familie.«
Am nächsten Tag blieb Strange in der Bibliothek, während Arabella und Henry ausfuhren, um Jenny und Alwen zu besuchen. Doch die Freude der ersten Tage war nicht von Dauer. Arabella merkte bald, dass sie mit ihrem Bruder nicht mehr viel gemein hatte. Henry hatte die letzten sieben Jahre in einem kleinen Dorf auf dem Land verbracht. Sie hingegen hatte in London gelebt und dort einige der wichtigsten Ereignisse der letzten Jahre aus nächster Nähe verfolgt. Sie war mit mehr als nur einem Minister aus dem Kabinett befreundet. Sie war mit dem Premierminister bekannt und hatte mehrmals mit dem Herzog von Wellington getanzt. Sie hatte die königlichen Herzöge kennen gelernt, vor den Prinzessinnen geknickst und konnte immer mit einem Lächeln und ein paar Worten des Prinzregenten rechnen, wenn sie zufällig in Carlton House war. Was ihre Bekanntschaft mit jedem, der mit der glorreichen Wiederbelebung der englischen Zauberei zu tun hatte, betraf – das verstand sich von selbst.
Doch während sie äußerst interessiert an allen Neuigkeiten ihres Bruders war, interessierte er sich so gut wie überhaupt nicht für das, was sie zu erzählen hatte. Ihre Beschreibungen des Lebens in London entlockten ihm nicht mehr als ein höfliches »Ach, wirklich?«. Als sie einmal über etwas sprach, das der Herzog von Wellington zu ihr gesagt hatte, und von ihrer Antwort erzählte, wandte sich Henry mit hochgezogener Augenbraue und einem leisen Lächeln an sie – einem Lächeln, das sehr deutlich sagte: »Ich glaube dir nicht.« Solch ein Verhalten verletzte sie. Sie hatte nicht das Gefühl, zu
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