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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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prahlen – solche Begegnungen gehörten in London zu ihrem täglichen Leben. Als ihr klar wurde, dass seine Briefe sie immer erfreut hatten, wohingegen er ihre Antworten als weitschweifig und gekünstelt empfunden haben musste, verspürte sie einen leichten Stich in der Brust.
    Unterdessen litt auch der arme Henry unter Dingen, die ihm missfielen. Als kleiner Junge hatte er Ashfair House über alles geliebt. Seine Größe, seine Lage und die bedeutende Stellung, die sein Besitzer in der Gegend von Clun einnahm – all dies war ihm gleichermaßen wunderbar vorgekommen. Er hatte sich immer auf den Tag gefreut, an dem Jonathan Strange das Erbe antreten würde und er Ashfair in der wichtigen Rolle des Freundes des Eigentümers besuchen konnte. Jetzt, da all dies eingetreten war, stellte er fest, dass er seinen Aufenthalt hier nicht besonders genoss. Ashfair war vielen Häusern, die er in den letzten Jahren gesehen hatte, unterlegen. Es hatte fast so viele Giebel wie Fenster. Die Räume hatten niedrige Decken und waren seltsam geschnitten. Die vielen Generationen, die darin gewohnt hatten, hatten die Fenster einfach dorthin gesetzt, wo es ihnen gefiel, ohne über das allgemeine Erscheinungsbild des Hauses nachzudenken. Die Fenster selbst wurden fast alle verdunkelt von Kletterrosen und dem Efeu, der an den Mauern hinaufwuchs. Es war ein altmodisches Haus – die Art von Haus, so drückte Strange es aus, in dem eine Dame aus einem Roman gern verfolgt würde.
    In der Gegend von Great Hitherden waren in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Häuser renoviert und mehrere elegante neue Landhäuser für Damen und Herren, die das Leben auf dem Land liebten, errichtet worden. Henry konnte sich – teils, weil es ihm unmöglich war, alles, was mit seiner Gemeinde zu tun hatte, für sich zu behalten, und teils, weil er vorhatte, bald zu heiraten, und häusliche Verbesserungen ihm daher im Kopf herumgingen -nicht beherrschen, Strange in dieser Hinsicht zu beraten. Besonders störte ihn die Lage des Stallhofs, den man, wie er Strange sagte, »immer durchqueren muss, wenn man in den südlichen Teil der Gartenanlagen und in den Obstgarten gelangen möchte. Du könntest ihn ohne weiteres abreißen und woanders wiederaufbauen.«
    Strange antwortete nicht direkt darauf, sondern sprach plötzlich seine Frau an. »Meine Liebe, ich hoffe, dir gefällt das Haus. Es tut mir sehr Leid, dass ich noch nie daran gedacht habe, dich zu fragen. Sag mir, wenn es dir nicht gefällt, dann werden wir augenblicklich umziehen!«
    Arabella lachte und sagte, dass sie mit dem Haus sehr zufrieden sei. »Und bitte entschuldige, Henry, aber ich bin mit dem Stallhof genauso zufrieden wie mit allem anderen.«
    Henry versuchte es noch einmal. »Nun, du wirst mir doch sicherlich beipflichten, dass man eine große Verbesserung erreichen würde, wenn man einfach die Bäume fällt, die um das Haus herumstehen und jedes Zimmer verdunkeln? Sie wachsen, wie es ihnen beliebt – einfach dort, wo die Eichel oder der Samen hinfiel, nehme ich an.«
    »Was?«, fragte Strange, dessen Augen während des letzten Teils der Unterhaltung wieder zu seinen Büchern zurückgekehrt waren.
    »Die Bäume«, sagte Henry.
    »Welche Bäume?«
    »Diese da«, sagte Henry und deutete aus dem Fenster auf eine größere Gruppe von alten, prächtigen Eichen, Eschen und Buchen.
    »Als Nachbarn sind die Bäume wirklich mustergültig. Sie kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten und haben mich noch nie gestört. Ich glaube, ich werde mich ihnen dafür erkenntlich erweisen.«
    »Aber sie schirmen das Licht ab.«
    »Du auch, Henry, aber ich habe noch keine Axt an dich gelegt.«
    Die Wahrheit war, dass Henry an Ashfair und seiner Lage zwar viel auszusetzen hatte, in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes beanstandete. Was ihn am Haus wirklich störte, war der Hauch von Zauberei, der über allem schwebte. Als Strange den Beruf des Zauberers ergriffen hatte, war Henry das gleichgültig gewesen. Zu jener Zeit begannen sich gerade die ersten Nachrichten von Mr. Norrells wunderbaren Leistungen im Königreich zu verbreiten. Zauberei schien wenig mehr zu sein als ein esoterischer Zweig der Geschichtsforschung, ein Zeitvertreib für reiche, vornehme Müßiggänger; und irgendwie verstand Henry es, immer noch an dieser Ansicht festzuhalten. Er bildete sich viel ein auf Stranges Reichtum, sein Vermögen, seinen beeindruckenden Stammbaum, aber nicht auf seine Zauberei. Er war immer etwas überrascht, wenn

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