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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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war.
    Die Kutsche, der Kutscher, die Zofe und der Lakai sollten alle bei Lady Pole in Starecross Hall bleiben; Stephen jedoch musste in die Harley Street zurückkehren. Früh am nächsten Morgen, während Lady Pole frühstückte, ging er, um sich von ihr zu verabschieden.
    Als er sich verneigte, lachte sie halb traurig, halb amüsiert. »Es ist überaus lächerlich, sich zu verabschieden, da wir doch beide wissen, dass wir uns in ein paar Stunden wiedersehen werden. Mach dir um mich keine Sorgen, Stephen. Hier werde ich mich wohler fühlen. Ich spüre es.«
    Stephen ging hinaus zum Stall, wo sein Pferd stand. Er zog sich gerade die Handschuhe an, als er in seinem Rücken eine Stimme hörte. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«
    Es war Mr. Segundus, so zaghaft und bescheiden wie immer. »Darf ich Sie etwas fragen? Was für ein Zauber umgibt Sie und Lady Pole?« Er hob die Hand, als wollte er mit den Fingerspitzen Stephens Gesicht berühren. »Vor Ihrem Mund befindet sich eine rotweiße Rose. Und vor dem Mund der Lady ebenfalls. Was bedeutet das?«
    Stephen hob die Hand an den Mund. Da war nichts. Aber einen Augenblick lang hatte er das überwältigende Gefühl, Mr. Segundus alles erzählen zu wollen – von seiner Verzauberung und der Verzauberung der zwei Frauen. Er glaubte, dass Mr. Segundus ihn irgendwie verstehen würde, dass Mr. Segundus sich als außergewöhnlicher Zauberer – als weit größerer Zauberer denn Strange oder Norrell – erweisen und einen Weg finden würde, die Pläne des Herrn mit dem Haar wie Distelwolle zu vereiteln. Aber das waren flüchtige Phantasien. Schon einen Moment später stellte sich Stephens angeborenes Misstrauen gegenüber Engländern im Allgemeinen und englischen Zauberern im Besonderen wieder ein.
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte er hastig. Dann stieg er aufs Pferd und ritt ohne ein weiteres Wort davon.
    Die winterlichen Straßen an diesem Tag waren mit die schlimmsten, die er je erlebt hatte. Die Erde war zu eisenharten Furchen und Kämmen gefroren. Wiesen und Wege waren mit weißem Reif überzogen, und ein eisiger Nebel verstärkte die Atmosphäre düsterer Melancholie.
    Das Pferd war eines der zahllosen Geschenke des Herrn. Es war eine milchweiße Stute, die nirgendwo auch nur ein einziges schwarzes Haar hatte. Zudem war sie stark und schnell und Stephen so zugetan, wie ein Pferd einem Menschen nur zugetan sein kann. Er hatte sie Firenze genannt und bezweifelte, dass selbst der Prinzregent oder der Herzog von Wellington ein besseres Pferd hatten. Es gehörte zu den Eigenheiten seines seltsamen verzauberten Lebens, dass niemand, gleichgültig, wohin er ritt, die Widersprüchlichkeit der Tatsache erwähnte, dass ein schwarzer Diener das beste Pferd im ganzen Königreich besaß.
    Ungefähr zwanzig Meilen südlich von Starecross Hall kam er in ein kleines Dorf. Die Straße machte eine scharfe Biegung zwischen einem großen eleganten Anwesen mit Garten auf der rechten Seite und einer Reihe verfallener Ställe auf der linken. Gerade als Stephen am Tor zu dem Anwesen vorbeiritt, fuhr eine Kutsche aus der Einfahrt und wäre fast mit ihm zusammengestoßen. Der Kutscher sah sich um, weil er feststellen wollte, was seine Pferde zum Scheuen gebracht und ihn gezwungen hatte, sie zu zügeln. Da er nichts als einen schwarzen Mann entdeckte, schlug er mit der Peitsche nach ihm. Der Peitschenschlag verfehlte Stephen, traf Firenze jedoch über dem rechten Auge. Vor Schreck und Schmerz bäumte sie sich auf und verlor den Halt auf der vereisten Straße.
    Einen Augenblick schien alles auf dem Kopf zu stehen. Als Stephen wieder fähig war zu begreifen, was geschah, lag er bereits auf der Erde. Firenze war gestürzt. Er war neben sie gefallen, aber sein linker Fuß steckte noch immer im Steigbügel, und das Bein war auf höchst beunruhigende Weise verdreht – er war sicher, dass es gebrochen war. Er befreite den Fuß und blieb einen Moment lang sitzen, geschockt und benommen. Etwas tropfte ihm vom Gesicht, und seine Hände waren vom Sturz aufgeschürft. Er versuchte aufzustehen und stellte erleichtert fest, dass es ihm gelang; das Bein schien geprellt, aber nicht gebrochen.
    Firenze lag schnaubend da und verdrehte wild die Augen. Er fragte sich, warum sie nicht versuchte, aufzustehen oder zumindest auszuschlagen. Eine Art unwillkürliches Schaudern durchlief sie, aber abgesehen davon regte sie sich nicht. Ihre Läufe waren starr und schienen in merkwürdigem Winkel abzustehen. Dann

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