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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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weißen Sonnenschirms in die Ritzen zwischen den Pflastersteinen und murmelte vor sich hin: »Ich habe genug gesehen. Oh, ich habe wirklich genug gesehen.« Die Wiederholung dieses mysteriösen Satzes schien ihr keine große Erleichterung zu verschaffen – ja, sie machte sie nur noch melancholischer und ließ sie mehrmals aufseufzen.
    »Sie sind heute sehr still«, sagte Strange plötzlich. Sie erschrak. Sie hatte nicht bemerkt, dass er neben ihr stand.
    »Bin ich das? Ich war mir dessen nicht bewusst.« Dann wandte sie die Aufmerksamkeit wieder der Umgebung zu und schwieg. Strange lehnte sich an die Brücke, verschränkte die Arme und betrachtete sie konzentriert.
    »Still«, wiederholte er, »und ein bisschen traurig, glaube ich. Und deswegen muss ich mit Ihnen sprechen.«
    Daraufhin musste sie wider Willen lächeln. »Müssen Sie?«, sagte sie. Aber allein dass sie ihn anlächelte und mit ihm sprach, schien sie zu schmerzen, deswegen seufzte sie und wandte sich ab.
    »Ja. Denn wann immer ich melancholisch bin, erzählen Sie mir lustige Dinge und heitern mich auf, und deshalb muss ich jetzt das Gleiche für Sie tun. Das gehört zur Freundschaft.«
    »Offenheit und Ehrlichkeit, Mr. Strange. Ich glaube, das sind die besten Grundlagen für eine Freundschaft.«
    »Oh! Sie halten mich für einen Geheimniskrämer. Ich sehe es Ihrem Gesicht an. Sie mögen Recht haben, aber ich ... Das heißt... Nein, ich nehme an, Sie haben Recht. Vermutlich gestattet es mein Beruf nicht...«
    Miss Greysteel unterbrach ihn. »Ich wollte damit nichts gegen Ihren Beruf sagen. Ganz und gar nicht. Alle Berufe erfordern in bestimmten Dingen Diskretion. Das , so denke ich, versteht sich von selbst.«
    »Dann verstehe ich Sie nicht.«
    »Es ist einerlei. Wir sollten zu meiner Tante und meinem Papa zurückkehren.«
    »Nein, warten Sie, Miss Greysteel, so geht es nicht. Wer wird mich zurechtweisen, wenn ich Unrecht habe, wenn nicht Sie? Sagen Sie mir – wen, glauben Sie, hintergehe ich?«
    Miss Greysteel schwieg einen Augenblick und sagte dann etwas widerwillig: »Ihre Freundin von gestern Abend vielleicht?«
    »Meine Freundin von gestern Abend! Wen meinen Sie?«
    Miss Greysteel blickte sehr unglücklich drein. »Die junge Frau in der Gondel, die so auf Sie eingeredet hat und nicht wollte – mindestens eine halbe Stunde lang –, dass jemand anders mit Ihnen sprach.«
    »Ah!«, sagte Strange und schüttelte den Kopf. »Nun, da haben Sie sich etwas Falsches in den Kopf gesetzt. Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist Lord Byrons Freundin.«
    »Oh!« Miss Greysteel errötete leicht. »Sie schien eine sehr aufgeregte junge Person.«
    »Sie ist nicht glücklich über das Verhalten Seiner Lordschaft.« Strange zuckte die Achseln. »Wer ist das schon? Sie wollte wissen, ob ich Seine Lordschaft beeinflussen könnte, und ich konnte sie nur unter Mühen davon überzeugen, dass es in England weder genug Zauberei gibt noch je gab, um das zu bewerkstelligen.«
    »Jetzt sind Sie gekränkt.«
    »Nicht im Mindesten. Ich glaube, wir sind diesem gegenseitigen Verständnis, das Sie für Freundschaft fordern, jetzt näher gekommen. Wollen Sie mir darauf die Hand geben?«
    »Aber mit dem größten Vergnügen«, sagte sie.
    »Flora? Mr. Strange?«, rief Dr. Greysteel und schritt auf sie zu. »Was ist?«
    Miss Greysteel war ein wenig verwirrt. Ihr war es überaus wichtig, dass ihre Tante und ihr Vater nur den besten Eindruck von Mr. Strange hatten. Sie sollten nicht erfahren, dass sie selbst ihm ein Unrecht zur Last gelegt hatte. Sie gab vor, die Frage ihres Vaters nicht gehört zu haben, und begann energisch von einigen Gemälden in der Scuola di Giorgio degli Schiavoni zu sprechen, die sie unbedingt sehen wollte. »Es ist ganz nah. Sie werden uns doch hoffentlich begleiten?«, sagte sie zu Strange.
    Strange lächelte sie wehmütig an. »Ich muss arbeiten.«
    »Ihr Buch?«, fragte Dr. Greysteel.
    »Heute nicht. Ich arbeite an dem Zauber. Ich will einen Elfengeist herbeizitieren, der dann mein Gehilfe sein soll. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich es schon versucht habe – und auf wie viele verschiedene Arten. Und natürlich stets ohne Erfolg. Aber in dieser prekären Lage befindet sich der moderne Zauberer. Zauber, die einst jeder kleine Hexer in England selbstverständlich kannte, sind heutzutage so schwer zu fassen, dass wir kaum Hoffnung haben, ihrer jemals wieder habhaft zu werden. Martin Pale hatte achtundzwanzig Elfendiener. Ich würde mich glücklich

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