Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
sagte Dr. Greysteel.
    Strange schaute auf. Er wirkte nicht mehr so außer sich wie in der Nacht zuvor, aber seine Augen hatten denselben wie von einem Spuk gehetzten Ausdruck. Er starrte den Doktor eine Weile an, als würde er ihn nicht wiedererkennen. »Greysteel«, murmelte er schließlich. »Was tun Sie hier?«
    »Ich bin gekommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht. Ich mache mir Sorgen um Sie.«
    Strange erwiderte nichts darauf. Er wandte sich wieder der silbernen Schale zu und vollführte ein paar Gesten darüber. Aber sofort schien er unzufrieden mit dem, was er getan hatte. Er nahm ein Glas und goss Wasser hinein. Dann ließ er vorsichtig zwei Tropfen aus einem Fläschchen in das Glas fallen.
    Dr. Greysteel sah ihm dabei zu. Auf dem Fläschchen klebte kein Etikett; die Flüssigkeit war bernsteinfarben; es hätte alles sein können.
    Strange spürte Dr. Greysteels Blick. »Ich nehme an, dass Sie sagen werden, ich sollte das nicht nehmen. Nun, Sie können sich die Mühe sparen.« Er trank das Glas in einem Zug aus. »Sie werden es nicht mehr sagen, wenn Sie den Grund kennen.«
    »Nein, nein«, sagte Dr. Greysteel in seinem beschwichtigendsten Tonfall, den er sich für seine schwierigsten Patienten vorbehielt. »Ich versichere Ihnen, dass ich nichts dergleichen sagen wollte. Ich würde nur gern wissen, ob Sie Schmerzen haben. Oder sich krank fühlen. Letzte Nacht dachte ich, dass Sie es wären. Vielleicht kann ich Ihnen raten...« Er hielt inne. Er roch etwas. Es war überwältigend – ein trockener muffiger Geruch, vermischt mit etwas Scharfem und Animalischem; und das Merkwürdige war, dass er den Geruch sofort wiedererkannte. Plötzlich roch er das Zimmer, in dem die alte Frau lebte: die verrückte alte Frau mit den vielen Katzen.
    »Meine Frau lebt«, sagte Strange. Seine Stimme war heiser und belegt. »Ha! Sehen Sie! Das wussten Sie nicht.«
    Dr. Greysteel wurde kalt. Wenn Strange etwas hätte sagen können, das ihn noch mehr beunruhigte, dann das.
    »Man hat mir gesagt, dass sie tot wäre«, fuhr Strange fort. »Man hat mir gesagt, dass sie begraben wurde. Ich kann nicht fassen, dass ich so hintergangen wurde. Sie wurde verzaubert! Sie wurde mir gestohlen. Und deswegen brauche ich das.« Er hielt dem Doktor das Fläschchen mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit vors Gesicht.
    Dr. Greysteel und Frank wichen einen Schritt zurück. Frank flüsterte dem Doktor ins Ohr: »Alles in Ordnung, Sir. Alles in Ordnung. Ich werde nicht zulassen, dass er Ihnen etwas tut. Ich werde mit ihm fertig. Haben Sie keine Angst.«
    »Ich kann nicht in das Haus zurück«, sagte Strange. »Er hat mich daraus verbannt und lässt mich nicht wieder hinein. Die Bäume lassen mich nicht durch. Ich habe es mit Entzauberungssprüchen versucht, aber sie bewirken nichts. Sie wirken nicht...«
    »Haben Sie seit gestern Abend gezaubert?«, fragte Dr. Greysteel.
    »Was? Ja.«
    »Ich bedaure, das zu hören. Sie sollten sich ausruhen. Ich nehme an, dass Sie sich nicht mehr gut an gestern Abend erinnern ...«
    »Ha!«, rief Strange. »Ich werde nie und nimmer auch nur die kleinste Einzelheit vergessen.«
    »Wirklich? Wirklich?«, sagte Dr. Greysteel beschwichtigend. »Nun, ich will Ihnen nicht verhehlen, dass mich Ihr Aussehen beunruhigt hat. Sie waren nicht Sie selbst. Das war gewiss die Folge von Überarbeitung. Wenn ich vielleicht...«
    »Verzeihen Sie, Dr. Greysteel, aber wie ich bereits erklärt habe, ist meine Frau verzaubert . Sie wird unter der Erde gefangen gehalten. So gern ich das Gespräch mit Ihnen fortsetzen würde, aber ich habe Dringenderes zu tun.«
    »Sehr gut. Beruhigen Sie sich. Wir wollen Sie nicht länger quälen. Wir werden gehen und morgen wiederkommen. Aber bevor wir gehen, muss ich Ihnen sagen, dass der Statthalter heute Morgen eine Delegation zu mir gesandt hat. Er lässt Sie respektvoll darum bitten, dass Sie für den Augenblick Abstand nehmen vom Zaubern...«
    »Nicht mehr zaubern!« Strange lachte – ein kaltes, hartes, humorloses Lachen. »Sie bitten mich, jetzt damit aufzuhören? Völlig unmöglich! Warum hat Gott mich Zauberer werden lassen, wenn nicht dafür?« Er wandte sich erneut der Silberschale zu und malte Zeichen in die Luft knapp über der Wasseroberfläche.
    »Dann erlösen Sie die Gemeinde wenigstens von der unnatürlichen Nacht. Wollen Sie zumindest das für mich tun? Um unserer Freundschaft willen? Um Floras willen?«
    Strange hielt mitten in einer Geste inne. »Wovon sprechen Sie? Was für eine

Weitere Kostenlose Bücher