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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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vergessen, was er sagen wollte. Dann begann er erneut. »Ich dachte, dass Norrell nur mich belogen hätte. Aber ich habe mich geirrt. Vollständig geirrt. Er hat alle belogen. Er hat uns alle belogen.« Dann sprach er mit dem Gondoliere, und die Gondel entfernte sich in die Dunkelheit.
    »Warten Sie! Warten Sie!«, rief Dr. Greysteel, aber die Gondel war verschwunden. Er starrte in die Dunkelheit, in der Hoffnung, dass Strange wieder auftauchen würde, aber vergeblich.
    »Soll ich ihm folgen, Sir?«, fragte Frank.
    »Wir wissen nicht, wohin er ist.«
    »Ich nehme an, dass er nach Hause zurückkehrt, Sir. Ich könnte zu Fuß zu ihm gehen.«
    »Und was zu ihm sagen, Frank? Er wollte jetzt nicht auf uns hören. Nein, lass uns hineingehen. Wir müssen an Flora denken.«
    Aber kaum war er wieder im Haus, stand Dr. Greysteel ratlos da und wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Plötzlich sah er so alt aus, wie er war. Frank fasste ihn sachte am Arm und führte ihn eine dunkle steinerne Treppe hinunter in die Küche.
    Dafür, dass sie so viele große marmorne Räume versorgen musste, war die Küche sehr klein. Sie war ein feuchter, selbst tagsüber düsterer Ort. Es gab nur ein Fenster hoch oben in der Mauer, knapp über dem Kanalpegel draußen und mit einem dicken eisernen Gitter versehen. Das bedeutete, dass sich der Raum größtenteils unterhalb des Wasserspiegels befand. Doch nach ihrer Begegnung mit Strange erschien die Küche ein warmer freundlicher Ort. Frank zündete mehr Kerzen an und entfachte das Feuer neu. Dann füllte er einen Kessel mit Wasser, um Tee für sie beide zu kochen.
    Dr. Greysteel saß auf einem bequemen Küchenstuhl und starrte nachdenklich ins Feuer. »Als er davon gesprochen hat, dass jemand Flora Böses will...«, sagte er schließlich.
    Frank nickte, als wüsste er, was als Nächstes kommen würde.
    »... dachte ich unwillkürlich, er meint sich selbst, Frank«, fuhr Dr. Greysteel fort. »Er fürchtet, ihr etwas anzutun, deswegen ist er gekommen, um mich zu warnen.«
    »So ist es, Sir«, pflichtete Frank ihm bei. »Er ist gekommen, um uns zu warnen. Was beweist, dass er zuinnerst ein guter Mensch ist.«
    »Er ist ein guter Mensch«, sagte Dr. Greysteel ernst. »Aber irgendetwas ist passiert. Es ist die Zauberei, Frank. Das muss es sein. Es ist ein merkwürdiger Berufsstand, und ich kann nicht umhin zu wünschen, er wäre etwas anderes – ein Soldat oder ein Geistlicher oder ein Advokat. Was sollen wir Flora sagen, Frank? Sie wird nicht abreisen wollen – da kannst du sicher sein. Sie wird ihn nicht verlassen wollen. Vor allem wenn er... wenn er krank ist. Was soll ich ihr sagen? Ich sollte mit ihr gehen. Aber wer wird dann in Venedig bleiben und sich um Mr. Strange kümmern?«
    »Sie und ich werden hier bleiben und dem Zauberer helfen, Sir. Aber schicken Sie Miss Flora mit ihrer Tante fort.«
    »Ja, Frank. Das ist es! Das werden wir tun.«
    »Obschon ich sagen muss, Sir«, fügte Frank hinzu, »dass Miss Flora eigentlich niemanden braucht, der auf sie aufpasst. Sie ist nicht wie andere junge Damen.« Frank lebte lange genug bei den Greysteels, um die Familiengewohnheit übernommen zu haben, Miss Greysteel als jemanden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und großer Intelligenz zu betrachten.
    In dem Gefühl, dass sie im Moment alles getan hatten, was sie tun konnten, gingen Dr. Greysteel und Frank wieder ins Bett.
    Aber es ist eines, mitten in der Nacht Pläne zu schmieden, und etwas ganz anderes, sie am helllichten Tag auszuführen. Wie Dr. Greysteel vorhergesehen hatte, widersetzte Flora sich vehement dem Vorschlag, Venedig und Jonathan Strange zu verlassen. Sie verstand es nicht. Warum sollte sie fort?
    Weil, meinte Dr. Greysteel, er krank sei.
    Umso mehr Grund zu bleiben, erwiderte sie. Er brauche jemanden, der sich um ihn kümmere.
    Dr. Greysteel versuchte anzudeuten, dass Stranges Krankheit ansteckend sei, aber er war aus Prinzip und aus Neigung ein ehrlicher Mann. Er hatte wenig Übung im Lügen und log schlecht. Flora glaubte ihm nicht.
    Tante Greysteel verstand die veränderte Lage kaum besser als ihre Nichte. Dr. Greysteel hatte gegen ihren vereinten Widerstand keine Chance und musste seine Schwester ins Vertrauen ziehen und ihr erzählen, was in der Nacht geschehen war. Leider hatte er kein Talent, Atmosphären zu vermitteln. Das seltsam Unheimliche von Stranges Worten war in seiner Erklärung nicht enthalten. Tante Greysteel begriff nur, dass er zusammenhanglos geredet

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