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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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kann man das sagen?« Es folgte eine Diskussion, wie man dieses Wort ins Englische übersetzen sollte. Einer der italienischen Priester schlug »Fürsprache« vor.
    »Ja, ja«, fuhr von Ottenfeld beflissen fort. »Wir bitten um Ihre Fürsprache beim Hexenmeister des großen Vellinton. Sir Doktor, wir schätzen sehr den Hexenmeister des großen Vellinton. Aber jetzt hat der Hexenmeister des großen Vellinton etwas getan. Was für eine Kalamität! Die Leute von Venedig haben Angst. Viele müssen ihre Häuser verlassen und weggehen.«
    »Ah!«, sagte Dr. Greysteel verständnisvoll. Er dachte einen Augenblick nach, dann dämmerte es ihm. »Oh! Sie glauben, Mr. Strange hat etwas mit dem schwarzen Turm zu tun.«
    »Nein!«, erklärte von Ottenfeld. »Es ist kein Turm! Es ist die Nacht! Was für eine Kalamität!«
    »Wie bitte?«, sagte Dr. Greysteel und blickte Hilfe suchend zu Frank. Frank zuckte die Achseln.
    Einer der Priester, dessen Englisch etwas robuster war, erklärte, dass die Sonne am Morgen überall in der Stadt aufgegangen sei, außer in einem Teil – der Pfarrgemeinde von Santa Maria Zobenigo, wo Strange wohnte. Dort herrschte noch immer Nacht.
    »Warum tut der Hexenmeister des großen Vellinton das?«, fragte von Ottenfeld. »Wir wissen es nicht. Wir bitten Sie zu gehen, Sir Doktor. Bitte, bitten Sie ihn, dass die Sonne zurückkommt nach Santa Maria Zobenigo? Bitten Sie ihn respektvoll, in Venedig nicht mehr zu zaubern.«
    »Natürlich werde ich zu ihm gehen«, sagte Dr. Greysteel. »Das ist eine sehr bedauerliche Lage. Ich bin sicher, dass Mr. Strange es nicht vorsätzlich getan hat – es wird sich gewiss alles als großer Irrtum herausstellen –, aber ich helfe gern auf jede nur erdenkliche Weise.«
    »Ah!«, sagte der Priester, der gut Englisch sprach, und hob die Hand, als fürchtete er, dass Dr. Greysteel auf der Stelle nach Santa Maria Zobenigo eilen würde. »Aber nehmen Sie Ihren Diener mit, bitte? Gehen Sie nicht allein.«
    Dichter Schnee fiel. Die traurigen Farben von Venedig waren zu Grau- und Schwarztönen verblasst. Der Markusplatz war eine blassgraue Radierung seiner selbst auf weißem Papier. Er war menschenleer. Dr. Greysteel und Frank stapften durch den Schnee. Dr. Greysteel trug eine Laterne und Frank hielt einen schwarzen Regenschirm über des Doktors Kopf.
    Jenseits des Platzes ragte die schwarze Säule der Nacht auf; sie gingen durch den Bogen des Atrio und weiter zwischen den stillen Häusern. Die Dunkelheit setzte mitten auf einer kleinen Brücke ein. Es war das Unheimlichste auf der Welt, dabei zuzusehen, wie die schräg fallenden Flocken plötzlich eingesaugt wurden, als wäre die Dunkelheit etwas Lebendiges, das sie mit gierigen Lippen fraß.
    Sie schauten ein letztes Mal auf die stille weiße Stadt und traten dann in die Dunkelheit.
    Die Gassen waren verlassen. Die Bewohner der Gemeinde hatten sich zu Verwandten oder Freunden in anderen Teilen der Stadt geflüchtet. Aber die Katzen von Venedig, die so widerspenstige Wesen wie in jeder anderen Stadt waren, hatten sich in Santa Maria Zobenigo versammelt, um zu tanzen und zu jagen und in der endlosen Nacht zu spielen, die ihnen wie ein hoher Feiertag erscheinen musste. In der Dunkelheit strichen Katzen an Dr. Greysteel und Frank vorbei; und mehrmals sah Dr. Greysteel glühende Augen, die ihn von einer Türschwelle aus beobachteten.
    Vor dem Haus, in dem Strange wohnte, war alles still. Sie klopften und riefen, aber niemand kam. Da die Tür nicht verschlossen war, stießen sie sie auf. Im Haus war es dunkel. Sie fanden die Treppe und stiegen hinauf zu Stranges Zimmer, ganz oben im Haus, in dem er zauberte.
    Nach allem, was geschehen war, erwarteten sie etwas Außergewöhnliches. Dass Strange zum Beispiel mit einem Dämon Zwiesprache hielt oder von schrecklichen Erscheinungen heimgesucht wurde. Es war etwas beunruhigend, dass die Szene, die sich ihnen bot, so gewöhnlich war. Das Zimmer sah aus wie immer. Es wurde von einer großzügigen Anzahl von Kerzen erhellt, und der eiserne Ofen verströmte eine einladende Wärme. Strange saß am Tisch, über eine Silberschale gebeugt, die ein reines weißes Licht in sein Gesicht abstrahlte. Er blickte nicht auf. Eine Uhr tickte leise in der Ecke. Bücher, Papiere und Schreibutensilien lagen wie üblich überall verstreut herum. Strange fuhr mit der Fingerpitze über die Oberfläche des Wassers und tippte zweimal leicht hinein. Dann wandte er sich ab und schrieb etwas in ein Heft.
    »Strange«,

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