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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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hätte?«
    »Oh! Ganz im Gegenteil«, erklärte Lascelles. »Gewiss hat Zauberei stattgefunden. Daran besteht kein Zweifel. Die Frage ist, wer gezaubert hat.«
    »Wie bitte?«, sagte Henry.
    »Das ist selbstverständlich zu hoch für mich«, sagte Lascelles. »Um diese Angelegenheit muss sich Mr. Norrell kümmern.«
    Henry blickte verwirrt von einem zum anderen.
    »Wer ist jetzt bei Mr. Strange?«, fragte Lascelles. »Er hat Dienstboten, nehme ich an?«
    »Nein. Keine eigenen Dienstboten. Er wird, glaube ich, von den Dienstboten seines Vermieters versorgt. Seine Freunde in Venedig sind eine englische Familie. Es scheinen merkwürdige Leute zu sein, sie reisen furchtbar gern, die Frauen wie der Herr.«
    »Name?«
    »Greystone oder Greyfield. Ich erinnere mich nicht genau.«
    »Und woher stammen sie, diese Leute namens Greystone oder Greyfield?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass Strange es jemals erwähnt hat. Der Herr war Schiffsarzt, glaube ich, seine Frau – die gestorben ist – war Französin.«
    Lascelles nickte. Im Raum war es jetzt so dämmrig, dass Henry Woodhope die Gesichter der beiden Männer nicht mehr erkennen konnte.
    »Sie sehen so blass und müde aus, Mr. Woodhope«, sagte Lascelles. »Vielleicht bekommt Ihnen die Londoner Luft nicht?«
    »Ich schlafe nicht sehr gut. Seitdem ich diese Briefe erhalten habe, habe ich nur noch Albträume.«
    Lascelles nickte. »Manchmal weiß ein Mann Dinge in seinem Herzen, die er nicht einmal flüsternd auszusprechen wagt, nicht einmal vor sich selbst. Sie mögen Mr. Strange sehr, nicht wahr?«
    Man muss Henry Woodhope nachsehen, dass er auf diese Bemerkung hin etwas verwirrt dreinblickte, da er nicht die geringste Ahnung hatte, wovon Lascelles sprach, aber er sagte nur: »Danke für Ihren Rat, Mr. Norrell. Ich werde tun, was Sie vorgeschlagen haben. Dürfte ich jetzt wohl meine Briefe wiederhaben?«
    »Ah! Was die Briefe angeht«, sagte Lascelles. »Mr. Norrell würde sie gern eine Weile ausleihen. Er glaubt, dass er ihnen noch viel entnehmen kann.« Henry Woodhope schien widersprechen zu wollen, deswegen fügte Lascelles etwas vorwurfsvoll hinzu: »Er denkt dabei nur an Mr. Strange. Es ist alles zum Wohl von Mr. Strange.«
    Also ließ Henry Woodhope die Briefe bei Mr. Norrell und Lascelles.
    Nachdem er gegangen war, sagte Lascelles: »Unser nächster Schritt muss sein, jemanden nach Venedig zu schicken.«
    »Ja, so ist es«, sagte Mr. Norrell. »Ich möchte unbedingt die Wahrheit erfahren in dieser Sache.«
    »Ah, ja.« Lascelles lachte kurz und verächtlich auf. »Die Wahrheit ...«
    Mr. Norrell blinzelte Lascelles mit seinen kleinen Augen mehrmals rasch an, aber Lascelles erklärte nicht, was er gemeint hatte. »Ich weiß nicht, wen wir schicken können«, fuhr Mr. Norrell fort. »Italien ist weit weg. Die Reise dauert, soweit ich weiß, zwei Wochen. Ich könnte nicht halb so lange auf Childermass verzichten.«
    »Hmm«, sagte Lascelles. »Ich dachte nicht notwendigerweise an Childermass. Ja, es gibt gute Gründe gegen Childermass. Sie selbst haben ihn oftmals der Sympathie mit Strange verdächtigt. Es erscheint mir alles andere als wünschenswert, dass die beiden sich in einem fremden Land treffen und sich gegen uns verschwören können. Nein, ich weiß, wen wir schicken.«
    Am nächsten Tag suchten Lascelles' Dienstboten unterschiedliche Stadtteile von London auf. Manche dieser Orte waren überaus verrufen wie die Armen- und Elendsviertel von St. Giles, Seven Dials und Saffron Hill; andere waren wohlhabend und patrizisch wie Golden Square, St. James's und Mayfair. Sie sammelten eine kuriose Mischung von Leuten ein: Schneider, Handschuhmacher, Hutmacher, Schuhmacher, Geldverleiher (von diesen besonders viele), Büttel und korrupte Hausmeister; sie brachten sie in Lascelles' Haus in der Bruton Street. Als sie sich alle in der Küche eingefunden hatten (der Herr des Hauses hatte nicht die Absicht, diese Leute im Salon zu empfangen), kam Lascelles und überreichte jedem von ihnen im Namen eines anderen eine gewisse Summe. Es war, so sagte er kalt lächelnd, ein Akt der Nächstenliebe. Denn wenn ein Mann an Weihnachten seine Nächstenliebe nicht unter Beweis stellen konnte, wann dann?
    Drei Tage später, am Tag des Heiligen Stephanus, traf der Herzog von Wellington plötzlich in London ein. Seit ungefähr einem Jahr lebte Seine Durchlaucht in Paris, wo er Befehlshaber der Vereinigten Besatzungsarmee war. Ja, es wäre kaum übertrieben zu sagen, dass der

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