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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Österreichern einen Brief«, sagte der Herzog von Wellington mit der gewohnten Entschlossenheit. »Wir schicken ihnen einen Brief, der sie an das warme Interesse erinnert, das der Prinzregent und die britische Regierung stets für das Wohlergehen von Mr. Strange hegen werden. Der sie an die große Schuld erinnert, in der ganz Europa steht, für Stranges Tapferkeit und Zauberkunst während der letzten Kriege. Der sie an unser großes Missfallen erinnert, sollten wir erfahren, dass ihm etwas Schlimmes zugestoßen ist.«
    »Ah!«, sagte Lord Liverpool. »In dieser Hinsicht sind wir unterschiedlicher Ansicht, Durchlaucht. Mir scheint, sollte Strange etwas Schlimmes zustoßen, dann nicht von den Österreichern. Es ist bei weitem wahrscheinlicher, dass Strange selbst sich Schlimmes antut.«
    Mitte Januar veröffentlichte ein Buchhändler namens Titus Watkins ein Buch mit dem Titel Die Schwarzen Briefe , das angeblich Stranges Briefe an Henry Woodhope enthielt. Gerüchteweise hieß es, dass Mr. Norrell für alle Kosten aufgekommen war. Henry Woodhope schwor, dass er nie sein Einverständnis zur Veröffentlichung der Briefe gegeben hatte. Zudem behauptete er, dass einige davon verändert worden seien. Hinweise auf Norrells Verhalten gegenüber Lady Pole waren gestrichen und andere Dinge ergänzt worden, von denen viele nahe legten, dass Strange seine Frau durch Zauberei umgebracht hätte.
    Etwa zur gleichen Zeit gab ein Freund Lord Byrons – ein Mann namens Scrope Davies – Anlass zu einer Sensation, als er bekannt gab, dass er beabsichtige, Mr. Norrell in Vertretung Lord Byrons anzuklagen: Norrell habe versucht, mittels Zauberei in den Besitz von Lord Byrons privater Korrespondenz zu kommen. Scrope Davies ging zu einem Advokaten in Lincoln's Inn und gab eine beeidigte Erklärung folgenden Inhalts ab: Er hatte vor kurzem mehrere Briefe von Byron erhalten, in denen Seine Lordschaft eine Säule immerwährender Dunkelheit in der Pfarrgemeinde Santa Maria Sobendigo [sic] in Venedig und den Wahnsinn des Jonathan Strange erwähnte. Scrope Davies hatte diese Briefe in seinem Ankleidezimmer seines Hauses in der Jermyn Street, St. James's, aufbewahrt. Eines Abends – er glaubte, es war der 7. Januar – kleidete er sich an, um in seinen Club zu gehen. Byrons Briefe lagen auf dem Frisiertisch. Er hatte gerade eine Haarbürste in die Hand genommen, als er sah, dass die Briefe herumzuflattern begannen wie trockenes Laub im Wind. Aber es wehte kein Wind, der dafür verantwortlich zu machen gewesen wäre, und deswegen wunderte er sich. Er sammelte die Briefe ein und bemerkte, dass sich auch die Handschrift auf den Seiten sonderbar verhielt. Die Federstriche lösten sich aus ihrer Verbindung und schlugen hin und her wie Wäscheleinen im Sturm. Plötzlich war ihm klar, dass die Briefe unter einem Zauberbann standen. Da er von Beruf Spieler war, reagierte er wie alle erfolgreichen Spieler blitzschnell und mit kühler Geistesgegenwart. Er legte die Briefe rasch in eine Bibel, zwischen die Seiten des Markus-Evangeliums. Später erzählte er Freunden, dass er zwar keine Ahnung von zauberischer Theorie habe, ihm jedoch nichts so geeignet erschienen wäre als die Heilige Schrift, um einen heimtückischen Zauber zu verhindern. Er hatte Recht; die Briefe blieben unverändert in seinem Besitz. Das Erstaunliche an der Angelegenheit war nicht – und das wurde zu einem beliebten Witz in allen Clubs –, dass Mr. Norrell versucht hatte, die Briefe an sich zu bringen, sondern dass Scrope Davies, ein berüchtigter Lebemann und Trinker, eine Bibel besaß.
KAPITEL 59
Leucrocuta, der Wolf des Abends
Januar 1817
    Eines Morgens Mitte Januar trat Dr. Greysteel aus seiner Haustür und blieb einen Augenblick stehen, um sich die Handschuhe glatt zu streichen. Als er aufblickte, sah er zufällig einen Mann, der im gegenüberliegenden Eingang Schutz vor dem Wind suchte.
    In Venedig sind alle Hauseingänge malerisch – und die Leute, die sich dort aufhalten, sind es manchmal auch. Dieser Kerl war ziemlich klein und schien trotz seiner augenfälligen Armut ein gewisses Maß an Geckenhaftigkeit zu besitzen. Seine Kleider waren ziemlich abgetragen und schäbig, doch er hatte versucht, ihnen ein besseres Aussehen zu verleihen, indem er sie an den Stellen herausgeputzt hatte, die man herausputzen konnte, und überall sonst abgebürstet hatte. Er hatte seine alten, vergilbten Handschuhe mit so viel Kreide geweißt, dass er an der Tür neben sich kleine kreidige

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