Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
schüttle mich und lache und weine eine Weile – ich kann nicht sagen, wie lange; vielleicht eine Stunde, vielleicht einen Tag. Aber genug davon. Wahnsinn ist der Schlüssel. Ich glaube, ich bin der erste englische Zauberer, der das begriffen hat. Norrell hatte Recht – wir brauchen keine Elfen, um uns zu helfen. Er sagte, dass Verrückte und Elfen viel gemeinsam haben, aber damals verstand ich die Bedeutung nicht, ebenso wenig wie er. Henry, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie verzweifelt ich Dich hier brauche. Warum kommst Du nicht? Bist Du krank? Ich erhalte keine Antwort auf meine Briefe, aber das kann bedeuten, dass Du bereits unterwegs nach Venedig bist und dieser Brief Dich vielleicht nie erreichen wird.
    »Dunkelheit, Unglück und Einsamkeit!«, rief der Herr höchst schadenfroh. »Das habe ich über ihn gebracht, und das muss er die nächsten hundert Jahre erleiden. Oh, wie niedergeschlagen er ist. Ich habe gewonnen! Ich habe gewonnen!« Er klatschte in die Hände, und seine Augen funkelten.
    In Stranges Zimmer in Santa Maria Zobenigo brannten drei Kerzen: eine auf dem Schreibtisch, eine auf dem kleinen bemalten Schrank und eine in einem Kerzenhalter an der Wand neben der Tür. Ein Betrachter hätte annehmen können, dass es die einzigen Lichter auf der Welt waren. Vor Stranges Fenster herrschten Dunkelheit und Stille. Strange, unrasiert, mit rot geränderten Augen und zerzaustem Haar, zauberte.
    Stephen starrte ihn an, halb mitleidig, halb entsetzt.
    »Und doch ist er nicht so einsam, wie ich es gern hätte«, bemerkte der Herr unzufrieden. »Es ist jemand bei ihm.«
    So war es. Ein kleiner dunkler Mann in teuren Kleidern lehnte an dem bemalten Schrank und beobachtete Strange mit scheinbar großem Interesse und Vergnügen. Hin und wieder holte er ein kleines Merkheft heraus und notierte etwas darin.
    »Das ist Lord Byron«, sagte Stephen.
    »Und wer ist er?«
    »Ein sehr böser Herr, Sir. Ein Dichter. Er hat mit seiner Frau gestritten und seine Schwester verführt.«
    »Wirklich? Vielleicht sollte ich ihn umbringen.«
    »Oh, tun Sie das nicht, Sir. Wohl wahr, seine Sünden sind von der schlimmsten Sorte, und er wurde mehr oder weniger aus England vertrieben, trotzdem...«
    »Ach, seine Verbrechen gegen andere Menschen sind mir einerlei. Nur die Verbrechen gegen mich zählen! Er sollte nicht hier sein. Ah, Stephen, Stephen. Schauen Sie nicht so verzweifelt drein. Warum sollte es Ihnen etwas bedeuten, was aus einem niederträchtigen Engländer wird? Ich sage Ihnen, was ich tun werde: Weil ich Sie so mag, werde ich ihn nicht sofort töten. Er mag, nun gut, weitere fünf Jahre leben. Aber dann muss er sterben.« 156
    »Danke, Sir«, sagte Stephen erleichtert. »Sie sind sehr großzügig.«
    Plötzlich hob Strange den Kopf und rief: »Ich weiß, dass ihr da seid. Ihr könnt euch vor mir verstecken, wenn ihr wollt, aber es ist zu spät. Ich weiß, dass ihr da seid.«
    »Mit wem sprechen Sie?«, fragte ihn Byron.
    Strange runzelte die Stirn. »Ich werde beobachtet. Ausspioniert!«
    »Wirklich? Und wissen Sie von wem?«
    »Von einem Elfen und einem Butler.«
    »Einem Butler?«, sagte Seine Lordschaft und lachte. »Nun, man mag über Kobolde und Gespenster sagen, was man will, aber Butler sind die Schlimmsten.«
    »Was?«, sagte Strange.
    Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle blickte besorgt im Zimmer herum. »Stephen! Kannst du meine kleine Dose irgendwo sehen?«
    »Welche kleine Dose, Sir?«
    »Ja, ja. Du weißt schon, was ich meine. Die kleine Dose mit dem Finger unserer lieben Lady Pole darin.«
    »Ich sehe sie nicht, Sir. Aber die kleine Dose ist jetzt doch gewiss nicht mehr wichtig? Jetzt, da Sie den Zauberer besiegt haben.«
    »Ach, da ist sie!«, rief der Herr. »Sehen Sie? Sie hatten die Hand auf den Tisch gestützt und sie aus Versehen darauf gelegt.«
    Stephen nahm die Hand fort. Nach einer Weile sagte er: »Wollen Sie sie nicht an sich nehmen, Sir?«
    Der Herr erwiderte nichts. Stattdessen schmähte er erneut den Zauberer und verherrlichte den eigenen Sieg.
    Sie gehört ihm nicht mehr, dachte Stephen aufgeregt. Er kann sie nicht nehmen. Sie gehört jetzt dem Zauberer. Vielleicht kann der Zauberer sie benutzen, um Lady Pole irgendwie zu befreien. Stephen sah zu und wartete, was der Zauberer tun würde. Aber nach einer halben Stunde musste er zugeben, dass es kaum Anlass zur Hoffnung gab. Strange schritt durch den Raum, murmelte Zaubersprüche vor sich hin und schien vollkommen wahnsinnig; Lord Byron

Weitere Kostenlose Bücher