Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
siebenhundert Pfund im Jahr bekam. Es waren keine Pflichten mit dem Posten verbunden, weil niemand mehr wusste, worin die Aufgaben des Amts für Bittgesuche bestanden oder wozu das kleine Stück Elfenbein diente. Aber dann gingen Sir Walters Freunde, und neue Minister kamen und erklärten, dass sie Sinekuren abschaffen wollten, und unter den vielen Ämtern und Stellen, die sie vom Baum der Regierung schnitten, war das Amt für Bittgesuche.
    Im Frühjahr 1807 schien es, als wäre Sir Walters politische Karriere zu Ende (die letzte Wahl hatte ihn fast zweitausend Pfund gekostet). Seine Freunde und Freundinnen waren nahezu verzweifelt. Eine seiner Freundinnen, Lady Winsell, fuhr nach Bath, wo sie bei einem Konzert (italienische Musik) Bekanntschaft mit Leuten namens Wintertowne schloss, einer Witwe und ihrer Tochter. Eine Woche später schrieb Lady Winsell an Sir Walter: »Sie ist genau, was ich mir immer für Sie gewünscht habe. Ihre Mutter ist für eine große Heirat und wird keine Schwierigkeiten machen – und wenn doch, verlasse ich mich auf Sie , dass Sie sie mit Ihrem Charme ausräumen werden. Und das Geld! Mein lieber Freund, als sie die Summe nannten, die sie erhalten wird, schossen mir Tränen in die Augen. Was sagen Sie zu eintausend Pfund im Jahr? Über die junge Person selbst will ich kein Wort verlieren nachdem Sie sie gesehen haben, werden Sie sie höher preisen, als ich es je könnte.«
    Gegen drei Uhr nachmittags desselben Tags, an dem Mr. Drawlight dem Gesangsvortrag der italienischen Dame beiwohnte, klopfte Lucas, Mr. Norrells Diener, an die Tür des Hauses am Brunswick Square, in dem Mr. Norrell Sir Walter treffen sollte. Mr. Norrell wurde eingelassen und in ein sehr schönes Zimmer im ersten Stock geführt.
    An den Wänden hing eine Reihe gigantischer Gemälde in verschnörkelten und vergoldeten Rahmen, auf denen die Stadt Venedig dargestellt war. Aber es war ein trüber Tag, kalter Regen hatte eingesetzt, und Venedig – diese Stadt, die zu gleichen Teilen aus sonnenbeschienenem Marmor und sonnenbeschienenem Meer besteht – versank in Londoner Düsternis. Die Aquamarintöne, das Wolkenweiß und das Schimmern von Gold waren matt wie das Grau und Grün versunkener Dinge. Hin und wieder peitschte der Wind den Regen gegen das Fenster (ein melancholisches Geräusch), und in dem grauen Licht wirkten die glänzenden Oberflächen der Chiffonnieren aus Rosenholz und der Schreibtische aus Walnussholz wie schwarze Spiegel und reflektierten einander dunkel. Trotz seiner Pracht war der Raum merkwürdig ungemütlich; keine Kerzen erhellten die Finsternis, kein Feuer vertrieb die Kühle. Es war, als würde der Haushalt von jemandem geführt, der hervorragend sah und nie fror.
    Sir Walter Pole erhob sich und bat um die Ehre, Mrs. Wintertowne und ihre Tochter, Miss Wintertowne, vorstellen zu dürfen. Obschon Sir Walter von zwei Damen sprach, sah Mr. Norrell nur eine , eine Dame in reifen Jahren, von großer Würde und gebieterischem Auftreten. Das verwirrte Mr. Norrell. Er dachte, Sir Walter müsse sich täuschen, und doch wäre es unhöflich gewesen, Sir Walter jetzt schon zu widersprechen. In einem Zustand der Verwirrung verbeugte sich Mr. Norrell vor der gebieterischen Dame.
    »Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen, Sir«, sagte Sir Walter. »Ich habe viel von Ihnen gehört. Mir scheint, in London wird über wenig anderes als den unvergleichlichen Mr. Norrell gesprochen.« Sir Walter wandte sich der gebieterischen Dame zu und fuhr fort: »Mr. Norrell ist Zauberer, Ma'am, eine Person von großem Ruhm in seiner Heimat Yorkshire.«
    Die gebieterische Frau starrte Mr. Norrell an.
    »Sie sind überhaupt nicht so, wie ich erwartet habe, Mr. Norrell«, bemerkte Sir Walter. »Man hat mir gesagt, Sie seien ein praktischer Zauberer – ich hoffe, Sie sind nicht gekränkt, Sir, das hat man mir erzählt –, und ich muss sagen, ich bin erleichtert, dass Sie nichts dergleichen sind. London wird heimgesucht von Gauklern, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen, indem sie ihnen alles Mögliche versprechen. Kennen Sie Vinculus, der eine kleine Bude vor St. Christopher Le Stocks hat? Er ist der Schlimmste von ihnen. Sie sind also ein theoretischer Zauberer?« Sir Walter lächelte aufmunternd. »Aber man sagt mir, Sie sind gekommen, um mich etwas zu fragen.«
    Mr. Norrell bat Sir Walter um Entschuldigung und erklärte, dass er tatsächlich ein praktischer Zauberer sei; Sir Walter blickte erstaunt drein. Mr. Norrell

Weitere Kostenlose Bücher