Jonathan Strange & Mr. Norrell
sagte oft in Hörweite meiner Stiefmutter: ›Verdammt sei Wiesentresse! Verdammt sei Robin Sommerfliege! Verdammt sei Butterblume!‹ Und sie, die arme alberne Frau, flehte ihn an, damit aufzuhören. Diese Elfengeister waren zu nichts gut. Meine Schwester wurde krank. Häufig ging ich in ihr Zimmer und fand Dreamditch vor, der ihre blassen Wangen und ihre schlaffe Hand mit langen gelben schmutzigen Fingernägeln streichelte. Er weinte fast, der Narr. Er hätte sie gerettet, wenn er es gekonnt hätte. Er sagte Zaubersprüche auf, aber sie starb. Ein wunderschönes Kind, Sir Walter. Jahrelang hasste ich den Zauberer meiner Stiefmutter. Jahrelang hielt ich ihn für einen bösen Mann, aber letztlich begriff ich, Sir Walter, dass er ein trauriger, bedauernswerter Narr war.«
Sir Walter wandte sich auf seinem Stuhl um. »Miss Wintertowne!«, sagte er. »Sie haben etwas gesagt, aber ich habe es nicht verstanden.«
»Emma! Was ist?«, rief Mrs. Wintertowne.
Aus der Ecke, in der das Sofa stand, war ein matter Seufzer zu vernehmen. Dann sagte eine leise klare Stimme: »Ich sagte, dass du dich täuschst, Mama.«
»Ich täusche mich, meine Liebe?« Mrs. Wintertowne, die einen so starken Charakter hatte und Meinungen verkündete wie Moses die Zehn Gebote, schien überhaupt nicht gekränkt, als ihre Tochter ihr widersprach. Im Gegenteil, sie schien sich nahezu darüber zu freuen.
»Selbstverständlich«, sagte Miss Wintertowne, »brauchen wir Zauberer. Wer sonst könnte uns die Geschichte Englands auslegen und vor allem die Geschichte des Nordens, des Schwarzen Königs des Nordens? Unsere Historiker können es jedenfalls nicht.« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. »Ich mag Geschichte«, fügte sie hinzu.
»Das wusste ich nicht«, sagte Sir Walter.
»Sir Walter!«, rief Mrs. Wintertowne. »Die liebe Emma verschwendet ihre Zeit nicht mit Romanen wie andere junge Frauen. Sie hat sehr viel gelesen, sie weiß mehr über Biographien und Dichtkunst als jede andere junge Frau, die ich kenne.«
»Und doch hoffe ich«, sagte Sir Walter eifrig und lehnte sich über die Rückenlehne seines Stuhls, um mit seiner Verlobten zu sprechen, »dass Sie auch Romane mögen, dann könnten wir einander vorlesen. Was halten Sie von Mrs. Radcliffe? Von Madame d'Arblay?«
Was Miss Wintertowne von diesen vortrefflichen Damen hielt, erfuhr Sir Walter nicht, denn sie hatte einen zweiten Hustenanfall, der sie veranlasste, sich – unter anscheinend großen Mühen – in eine sitzende Position zu kämpfen. Er wartete eine Weile auf eine Antwort, aber als der Husten nachließ, legte sie sich zurück auf das Sofa. Wie zuvor schien sie Schmerzen zu haben und wirkte erschöpft; sie schloss die Augen.
Mr. Norrell wunderte sich, dass niemand ihr beistand. Es war wie eine Verschwörung. Die im Raum Anwesenden schienen einfach zu leugnen, dass die arme junge Frau krank war. Niemand fragte, ob man ihr etwas bringen könne. Niemand schlug vor, sie solle sich ins Bett legen, was Mr. Norrell, der selbst oft krank war, bei weitem für das Beste gehalten hätte.
»Mr. Norrell«, sagte Sir Walter, »ich kann nicht behaupten, dass ich verstanden habe, welche Art Hilfe Sie uns anbieten ...«
»Was die Einzelheiten anlangt«, sagte Mr. Norrell, »verstehe ich so wenig vom Kriegshandwerk, wie die Generäle und Admiräle von Zauberei verstehen, dennoch ...«
»... aber was immer es ist«, fuhr Sir Walter fort. »Ich bedauere sagen zu müssen, es geht nicht. Zauberei ist kein achtbares Unterfangen, Sir. Sie ist nicht« – Sir Walter suchte nach dem richtigen Wort – »seriös. Die Regierung kann sich nicht auf solche Dinge einlassen. Selbst diese unschuldige kleine Unterhaltung, die Sie und ich heute führen, könnte uns in Verlegenheit bringen, wenn sie bekannt wird. Ehrlich gesagt, Mr. Norrell, hätte ich gewusst, was Sie mir heute vorschlagen wollten, hätte ich einem Treffen mit Ihnen nicht zugestimmt.«
Sir Walter sagte all das auf keineswegs unfreundliche Weise, aber der arme Mr. Norrell! Gesagt zu bekommen, dass Zauberei nicht seriös sei, war ein sehr schwerer Schlag. Mit den Dreamditches und Vinculuses dieser Welt in einen Topf geworfen zu werden, war niederschmetternd. Vergeblich gab er zu bedenken, dass er lange und gründlich darüber nachgedacht hatte, wie man der Zauberei wieder Achtung verschaffen könnte; vergeblich bot er sich an, Sir Walter eine lange Liste mit Empfehlungen zu zeigen, wie ein Regelwerk englischer Zauberei aussehen sollte.
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