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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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hoffte ernstlich, dass er durch dieses Eingeständnis Sir Walters gute Meinung nicht aufs Spiel setze.
    »Nein, nein. Keinesfalls«, murmelte Sir Walter höflich.
    »Das Missverständnis, dem Sie unterliegen«, sagte Mr. Norrell, »und damit meine ich natürlich den Glauben, dass alle praktischen Zauberer zwangsläufig Scharlatane sind, beruht auf der schockierenden Untätigkeit der englischen Zauberer während der letzten zweihundert Jahre. Ich habe eine kleine Zaubertat vollbracht – und die Leute von York waren so freundlich, sie erstaunlich zu finden –, aber ich versichere Ihnen, Sir Walter, jeder Zauberer von bescheidenem Talent hätte das Gleiche tun können. Die allgemeine Lethargie hat unsere große Nation des besten Beistands beraubt und sie wehrlos gemacht. Ich hoffe, diesen Mangel ausgleichen zu können. Andere Zauberer mögen in der Lage sein, ihre Pflicht zu vernachlässigen, aber ich kann es nicht. Ich bin gekommen, Sir Walter, um Ihnen in unseren gegenwärtigen Schwierigkeiten meine Hilfe anzubieten.«
    »Unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten?«, sagte Sir Walter. »Sie meinen den Krieg?« Er riss die kleinen schwarzen Augen weit auf. »Mein lieber Mr. Norrell! Was hat der Krieg mit Zauberei zu tun? Oder Zauberei mit dem Krieg? Ich habe gehört, was Sie in York getan haben, und die Hausfrauen waren hoffentlich dankbar, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie wir diese Art Zauberei auf den Krieg anwenden sollen. Natürlich, die Soldaten werden sehr schmutzig, andererseits« – er lachte leise – »haben sie anderes im Kopf.«
    Armer Mr. Norrell! Er kannte Drawlights Geschichte, wie die Elfen die Wäsche gewaschen hatten, nicht, und er war entsetzt darüber. Er versicherte Sir Walter, dass er nie in seinem Leben Wäsche gewaschen habe – weder durch Zauberei noch mit sonstigen Mitteln –, und erzählte, was er wirklich getan hatte. Aber obwohl Mr. Norrell in der Lage war, atemberaubende Wunder zu vollbringen, konnte er sie merkwürdigerweise nur auf seine gewohnt trockene Art schildern, so dass Sir Walter den Eindruck gewann, das Spektakel von fünfhundert sprechenden Steinfiguren in der Kathedrale von York sei eine ziemlich langweilige Angelegenheit gewesen, und er könne sich glücklich schätzen, nicht dabei gewesen zu sein. »Nun«, sagte er, »das ist überaus interessant. Aber ich verstehe immer noch nicht ganz, wie ...«
    Just in diesem Augenblick hustete jemand, und Sir Walter verstummte, als wolle er zuhören.
    Mr. Norrell sah sich um. In der am weitesten entfernten, schattigsten Ecke des Zimmers lag eine junge Frau in einem weißen Kleid auf einem Sofa, einen weißen Schal fest um sich geschlungen. Sie lag vollkommen reglos da. Mit einer Hand drückte sie sich ein Taschentuch auf den Mund. Ihre Haltung, ihre Reglosigkeit, alles an ihr vermittelte den Eindruck von Schmerz und Krankheit.
    Mr. Norrell war so sicher gewesen, dass sich niemand in dieser Ecke befand, dass er über ihre plötzliche Anwesenheit erschrak, als hätte sie jemand dorthin gezaubert. Während er sie noch betrachtete, hatte sie einen Hustenanfall, der eine Weile dauerte, und während dieser Zeit schien Sir Walter sehr unbehaglich zumute. Er sah nicht zu der jungen Frau (blickte aber überall sonst hin). Er nahm ein Stück vergoldeten Zierrat von dem kleinen Tisch neben ihm, drehte es um, schaute sich die Unterseite an, legte es wieder weg. Schließlich hustete er – ein kurzes Hüsteln, als wollte er nahe legen, dass alle husteten, dass Husten der natürlichste Vorgang der Welt und nie, unter keinen Umständen, etwas Beunruhigendes war. Als die junge Frau auf dem Sofa endlich ausgehustet hatte, lag sie wieder still und reglos da, aber sie schien nur unter Mühen atmen zu können.
    Mr. Norrells Blick schweifte von der jungen Dame zu dem großen düsteren Gemälde, das über ihr hing, und er versuchte, sich zu erinnern, wovon er geredet hatte.
    »Es ist eine Hochzeit«, sagte die stattliche Dame.
    »Wie bitte, Madam?«, sagte Mr. Norrell.
    Aber die Dame machte nur eine Kopfbewegung in Richtung des Gemäldes und bedachte Mr. Norrell mit einem gebieterischen Lächeln.
    Auf dem Gemälde über der jungen Dame war wie auf allen anderen Bildern im Raum Venedig abgebildet. Die meisten englischen Städte stehen auf einem Hügel; die Straßen steigen an und fallen ab. Mr. Norrell ging durch den Sinn, dass Venedig, das direkt am Meer erbaut war, die flachste und seltsamste Stadt der Welt sein musste. Es war die Flachheit, die das

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