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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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hat und der ihn vernichtet -und gestern habe ich ihn überredet, damit aufzuhören. Er gab mir sein Versprechen, ihn ganz aufzugeben.«
    »Aber Flora!«, sagte ihr Vater traurig. »Das macht mir mehr Sorgen als alles andere. Dass du dich als befugt betrachtest, Versprechen von ihm anzunehmen, bedarf einer Erklärung. Das siehst du doch sicherlich ein? Meine Liebe, hast du dich mit ihm verlobt?«
    »Nein, Papa!« Ein erneuter Tränenausbruch. Sehr viele Liebkosungen von Seiten der Tante waren nötig, um sie wieder einigermaßen zu beruhigen. »Es gibt keine Verlobung. Es stimmt, dass ich mich zu ihm hingezogen gefühlt habe. Aber das ist alles aus und vorbei. Du darfst mich nicht solcher Dinge verdächtigen! Es geschah um der Freundschaft willen, als ich ihn bat, mir etwas zu versprechen. Und um seiner Frau willen. Er glaubt, er tut es für sie, aber ich weiß, sie würde nicht wollen, dass er Zauberei betreibt, die solch zerstörerische Wirkung auf seine Gesundheit und seinen Verstand hat – gleichgültig, was er damit erreichen will, gleichgültig, wie verzweifelt die Umstände sind. Sie ist nicht mehr in der Lage, sein Handeln zu steuern – also fiel es mir zu, an ihrer Stelle zu sprechen.«
    Dr. Greysteel war still. »Flora«, sagte er nach einer Weile. »Du vergisst, meine Liebe, dass ich ihn in Venedig häufig getroffen habe. Er ist nicht in der Lage, Versprechen einzuhalten. Er wird sich nicht einmal daran erinnern, welches Versprechen er gegeben hat.«
    »Oh doch! Ich habe die Dinge so eingerichtet, dass er es muss!«
    Ein neuer Tränenschwall schien anzudeuten, dass sie doch nicht ganz so frei von Liebe war, wie sie behauptete. Aber sie hatte genug gesagt, um ihren Vater und ihre Tante etwas milder zu stimmen. Sie waren fest davon überzeugt, dass ihre Zuneigung zu Jonathan Strange früher oder später ein natürliches Ende finden würde. Wie Tante Greysteel später am Abend feststellte, war Flora nicht die Art Mädchen, die jahrelang damit verbrachte, einer unmöglichen Liebe nachzuhängen; dafür war sie ein zu vernünftiges Geschöpf.
    Jetzt, da sie wieder zusammen waren, hatten Dr. Greysteel und Tante Greysteel große Lust, ihre Reise fortzusetzen. Tante Greysteel wollte gern nach Rom fahren, um die alten Gebäude und Kunstwerke zu sehen, die, wie sie gehört hatte, ganz außergewöhnlich waren. Doch Flora hatte kein Interesse mehr an Ruinen oder Kunstwerken. Sie sei am glücklichsten da, so sagte sie, wo sie jetzt sei. Die meiste Zeit wollte sie nicht einmal das Haus verlassen, außer sie wurde gezwungen. Schlugen sie einen Spaziergang oder den Besuch einer Kirche mit einem Renaissancealtar vor, so lehnte sie es ab, mitzukommen. Leider regnete es oder die Straßen waren nass – so lauteten ihre Begründungen, die sämtlich der Wahrheit entsprachen; in diesem Winter regnete es in Padua ziemlich häufig, doch bislang hatte der Regen sie noch nie gestört.
    Ihre Tante und ihr Vater waren geduldig, obwohl es besonders Dr. Greysteel ein wenig schwer fiel. Er war nicht nach Italien gekommen, um still in einer Wohnung zu sitzen, die nur halb so viele Zimmer hatte wie sein behagliches Heim in Wiltshire. Insgeheim murrte er, dass man in Wiltshire ohne weiteres Romane lesen oder sticken konnte (dies waren derzeit Floras Lieblingsbeschäftigungen), zudem war es erheblich billiger, doch Tante Greysteel schalt ihn und ließ ihn verstummen. Falls Flora beabsichtigte, auf diese Art um Jonathan Strange zu trauern, dann mussten sie ihr das zugestehen.
    Flora schlug einen einzigen Ausflug vor, und der war von ganz besonderer Art. Etwa eine Woche, nachdem Dr. Greysteel nach Padua gekommen war, verkündete sie, dass sie den dringenden Wunsch verspürte, auf dem Meer zu sein.
    Meinte sie eine Seereise?, fragten sie. Es gab keinen Grund, warum sie nicht auf dem Seeweg nach Rom oder Neapel fahren sollten.
    Aber sie meinte keine Seereise. Sie wollte Padua nicht verlassen. Nein, sie würde gern auf einer Segeljacht oder irgendeinem anderen Boot aufs Meer hinausfahren. Nur eine oder zwei Stunden, vielleicht auch kürzer. Aber sie würde gern sofort aufbrechen. Am nächsten Tag begaben sie sich in ein kleines Fischerdorf.
    Das kleine Dorf verfügte über keinerlei Vorzüge, was Lage, Aussicht, Architektur oder Geschichte betraf – genauer gesagt, gab es außer seiner Nähe zu Padua nicht viel, um dessentwillen man es hätte empfehlen können. Dr. Greysteel erkundigte sich in der kleinen Weinhandlung und im Haus des Priesters,

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