Jonathan Strange & Mr. Norrell
nichts mit Mr. Norrells gewöhnlichen Interessen zu tun, dennoch ging sie ihm auf eine Art zu Herzen, die er nicht verstand. Er dachte flüchtig an Mrs. Strange und Lady Pole. Dann flog etwas zwischen ihn und die fröhliche Szenerie – so etwas wie ein greifbar gewordenes Stück Dunkelheit. Er glaubte, dass es ein Rabe war.
Der Zoll war bezahlt. Davey schüttelte die Zügel, und die Kutsche setzte sich in Richtung Archway in Bewegung.
Es begann zu schneien. Ein mit Graupeln durchsetzter Wind schlug von der Seite gegen die Kutsche und schüttelte sie hin und her; er kroch durch sämtliche Spalten und Ritzen und ließ Schultern, Nasen und Füße kalt werden. Lascelles' merkwürdige Stimmung trug nicht zur Besserung von Mr. Norrells Laune bei. Lascelles war aufgeregt, nahezu freudig erregt, doch Mr. Norrell hatte keine Ahnung, warum. Als der Wind aufheulte, lachte Lascelles, als vermutete er, dass das Geheul ihn in Schrecken versetzen sollte, und als wollte er beweisen, dass es ihm nicht gelang.
Als er bemerkte, dass Mr. Norrell ihn beobachtete, sagte er: »Ich habe nachgedacht. Es ist eine Kleinigkeit. Sie und ich, Sir, wir werden Strange und seine Tricks bald überwinden. Die Minister sind nichts als ein Haufen alter Weiber! Sie widern mich an! All diese Aufregung wegen eines Irren. Wenn ich daran denke, muss ich lachen. Liverpool und Sidmouth sind natürlich die Schlimmsten unter ihnen. Jahrelang haben sie sich aus Angst vor Buonaparte kaum getraut, die Nase aus der Haustür zu stecken, und jetzt kriegen sie Zustände, nur weil Strange verrückt ist.«
»Oh, aber Sie täuschen sich«, erklärte Mr. Norrell. »Jawohl, Sie täuschen sich. Die Bedrohung durch Strange ist gewaltig – Buonaparte war nichts im Vergleich –, aber Sie haben mir nicht erzählt, was Drawlight sagte. Ich würde sehr gern seinen Brief lesen. Ich werde Davey bitten, am Engel in Hadley anzuhalten und dann ...«
»Aber ich habe ihn nicht dabei. Ich habe ihn in der Bruton Street gelassen.«
»Oh! Aber...«
Lascelles lachte. »Mr. Norrell! Machen Sie sich keine Sorgen. Ich sage Ihnen, es spielt keine Rolle. Ich erinnere mich genau an seinen Inhalt.«
»Was steht darin?«
»Dass Strange wahnsinnig und in ewiger Dunkelheit gefangen ist – all das wussten wir bereits – und ...«
»In welcher Form tritt sein Wahnsinn auf?«, fragte Mr. Norrell.
Eine winzige Pause.
»Hauptsächlich, indem er Unsinn von sich gibt. Aber das hat er früher schon getan, nicht wahr?« Lascelles lachte. Als er Mr. Norrells Miene bemerkte, fuhr er etwas sachlicher fort: »Er quasselt von Bäumen und Steinen und John Uskglass und« – er sah sich nach Eingebung um – »unsichtbaren Kutschen. Und, ach ja, das wird Sie amüsieren! Er hat mehreren venezianischen Mädchen Finger gestohlen. Glatt gestohlen! Hebt die gestohlenen Finger in kleinen Dosen auf!«
»Finger!«, sagte Mr. Norrell erschrocken. Dies schien in ihm unangenehme Vorstellungen zu wecken. Er dachte kurz nach, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen. »Hat Drawlight die Dunkelheit beschrieben? Hat er irgendetwas gesagt, was uns helfen würde, sie zu verstehen?«
»Nein. Er hat Strange getroffen, und Strange hat ihm eine Botschaft an Sie mitgegeben. Er sagt, er kommt. Das ist die wesentliche Aussage des Briefes.«
Sie verfielen in Schweigen. Ohne dass Mr. Norrell es beabsichtigte, döste er ein; in seinen Träumen hörte er mehrmals, wie Lascelles in der Dunkelheit vor sich hin flüsterte.
Um Mitternacht wechselten sie am Haycock Inn in Wansford die Pferde. Lascelles und Mr. Norrell warteten im Schankraum, einem großen einfachen Zimmer mit holzgetäfelten Wänden, gescheuertem Boden und zwei großen Feuerstellen.
Die Tür ging auf, und Childermass kam herein. Er trat direkt zu Lascelles und sprach ihn mit den folgenden Worten an: »Lucas sagt, es gibt einen Brief von Drawlight, in dem steht, was er in Venedig gesehen hat.«
Lascelles wandte ein wenig den Kopf, blickte Childermass jedoch nicht an.
»Kann ich ihn sehen?«, fragte Childermass.
»Ich habe ihn in der Bruton Street gelassen«, sagte Lascelles.
Childermass sah etwas überrascht aus. »Nun gut«, sagte er, »dann kann Lucas ihn holen. Wir werden hier ein Pferd für ihn leihen. Er wird uns einholen, bevor wir in Hurtfew sind.«
Lascelles lächelte. »Ich sagte Bruton Street, nicht wahr? Aber weißt du was? Ich glaube nicht, dass er dort ist. Ich glaube, ich habe ihn im Gasthaus in Chatham liegen gelassen, da, wo ich auf
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