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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Raben. Als er an ihnen vorbeikam, flogen sie unter lautem Krächzen und Rufen auf. Am anderen Ende des Feldes stand eine alte Hecke mit einem Durchgang und zwei hohen Stechpalmen zu beiden Seiten. Der Durchgang führte auf einen von Hecken gesäumten Weg. Childermass blieb dort stehen und blickte erst in die eine und dann in die andere Richtung. Er zögerte. Dann trieb er sein Pferd an, und das Pferd trottete zwischen den Bäumen auf den Weg, und sie sahen ihn nicht mehr.
    »Er hat den Elfenweg genommen!«, rief Mr. Norrell erschrocken.
    »Oh!«, sagte Lascelles. »Das ist also ein Elfenweg?«
    »Jawohl!«, sagte Mr. Norrell. »Das ist einer der berühmteren. Angeblich hat er Doncaster und Newcastle über zwei Elfenzitadellen miteinander verbunden.«
    Sie warteten.
    Nach etwa zwanzig Minuten kletterte Lucas vom Kutschbock. »Wie lange sollen wir hier noch bleiben, Sir?«, fragte er.
    Mr. Norrell schüttelte den Kopf. »Kein Engländer hat je die Grenze zum Elfenland überquert seit Martin Pale, und das ist dreihundert Jahre her. Es ist gut möglich, dass er nicht wieder zurückkommt. Vielleicht...«
    In diesem Moment tauchte Childermass wieder auf und galoppierte über das Feld auf sie zu.
    »Nun, es stimmt«, sagte er zu Mr. Norrell. »Die Wege ins Elfenland sind wieder offen.«
    »Was hast du gesehen?«, fragte Mr. Norrell.
    »Der Weg führt nach einer Weile in einen Dornbaumwald. Am Eingang des Waldes steht die Statue einer Frau, die die Hände ausstreckt. In der einen Hand hält sie ein steinernes Auge und in der anderen ein steinernes Herz. Was den Wald betrifft...« Childermass machte eine Geste, die vielleicht umschreiben sollte, was er gesehen hatte, oder aber seine Ohnmacht angesichts des Gesehenen ausdrücken sollte. »Von jedem Baum hängen Leichen herab. Manche sind vielleicht erst gestern gestorben. Andere sind nur noch uralte Skelette, die in rostigen Rüstungen stecken. Ich kam an einen hohen Turm, der aus grob behauenen Steinen besteht. In den Mauern waren ein paar winzige Fenster. In einem von ihnen schien Licht, und man konnte den Schatten einer Person erkennen, die herausschaute. Neben dem Turm war eine Lichtung, durch die ein Bach floss. Dort stand ein junger Mann. Er sah bleich und krank aus, hatte tote Augen und trug eine britische Uniform. Er erzählte mir, er sei der Herr der Burg vom herausgerissenen Auge und vom herausgerissenen Herzen. Er habe geschworen, die Schlossdame zu beschützen und jeden, der sich ihr in beleidigender oder verletzender Absicht näherte, herauszufordern. Ich fragte ihn, ob er all die Männer getötet habe, die ich gesehen hatte. Er sagte, er habe einige von ihnen getötet und sie an die Dornen gehängt – wie es auch sein Vorgänger getan hatte. Ich fragte ihn, wie seine Herrin ihn für seine Dienste zu belohnen gedenke. Er sagte, das wisse er nicht. Er habe sie nie gesehen und nie mit ihr gesprochen. Sie bleibe in der Burg vom herausgerissenen Auge und vom herausgerissenen Herzen; er harre zwischen dem Bach und den Dornbäumen aus. Er fragte mich, ob ich gegen ihn kämpfen wolle. Ich erinnerte ihn daran, dass ich seine Herrin weder beleidigt noch verletzt hatte. Ich erzählte ihm, dass ich ein Diener sei und verpflichtet, zu meinem Herrn zurückzukehren, der auf mich wartete. Dann ließ ich mein Pferd kehrtmachen und ritt zurück.«
    »Was?«, rief Lascelles. »Ein Mann fordert dich zum Kampf auf, und du läufst weg. Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Kein Schamgefühl? Ein krankes Gesicht, tote Augen, eine unbekannte Person im Fenster!« Er schnaubte verächtlich. »Das sind doch nur Ausreden für deine Feigheit!«
    Childermass wich zurück, als habe man ihn gestoßen, und schien eine scharfe Antwort geben zu wollen, doch Mr. Norrell mischte sich ein. »Ganz im Gegenteil! Childermass hat richtig gehandelt, als er so schnell wie möglich davonritt. An solch einem Ort gibt es immer mehr Zauber, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Manche Elfen haben großes Vergnügen an Kampf und Tod. Ich weiß nicht, warum. Sie tun alles, um sich auf diese Weise zu vergnügen.«
    »Bitte, Mr. Lascelles«, sagte Childermass. »Wenn der Ort Sie so anzieht, dann gehen Sie doch! Bleiben Sie nicht um unseretwillen.«
    Lascelles blickte nachdenklich auf das Feld und die Lücke in der Hecke. Aber er rührte sich nicht von der Stelle.
    »Vielleicht mögen Sie keine Raben?«, sagte Childermass ein wenig spöttisch.
    »Niemand mag sie!«, erklärte Mr. Norrell. »Warum sind sie

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