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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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aus. Seit zwei Stunden las er die Karten. Aus der Tatsache, dass Mr. Norrell nicht den geringsten Widerspruch äußerte, ließ sich der Grad seiner Ablenkung durch die gegenwärtige Situation ablesen. Lascelles hingegen machten die Karten wahnsinnig. Er war überzeugt, dass eines der Subjekte dieses ganzen Auslegens und Umdrehens er selbst war. Mit dieser Annahme hatte er völlig Recht.
    »Wie ich diese Untätigkeit hasse!«, sagte er unvermittelt. »Worauf wartet Strange? Wir wissen nicht einmal sicher, ob er überhaupt kommt.«
    »Er wird kommen«, sagte Childermass.
    »Und woher weißt du das?«, fragte Lascelles. »Weil du es ihm befohlen hast?«
    Childermass antwortete nicht. Etwas, was er in den Karten entdeckt hatte, erforderte seine Aufmerksamkeit. Sein Blick schweifte darüber. Plötzlich stand er vom Tisch auf. »Mr. Lascelles! Sie haben eine Botschaft für mich!«
    »Ich?«, sagte Lascelles überrascht.
    »Ja, Sir.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich meine, dass Ihnen jemand vor kurzem eine Botschaft an mich aufgetragen hat. Die Karten sagen das. Ich wäre dankbar, wenn Sie sie mir ausrichten würden.«
    Lascelles schnaubte verächtlich. »Ich bin nicht irgendjemandes Bote – und schon gar nicht deiner!«
    Childermass überhörte das. »Von wem stammt die Botschaft?«, fragte er.
    Lascelles schwieg. Er wandte sich wieder seinem Messer und der Orange zu.
    »Nun gut«, sagte Childermass, setzte sich und legte die Karten von neuem aus.
    Mr. Norrell, den eine düstere Vorahnung plagte, beobachtete sie. Seine Hände wollten bereits zur Klingelschnur greifen, doch nach einem Augenblick der Besinnung änderte er seine Meinung und machte sich selbst auf die Suche nach einem Dienstboten. Lucas war im Speisezimmer und deckte den Tisch. Mr. Norrell erzählte ihm, was geschehen war. »Kann man denn nichts unternehmen, um die beiden zu trennen?«, fragte er. »Nach einer Weile werden sie sich beruhigt haben. Ist keine Nachricht für Mr. Lascelles gekommen? Gibt es nichts, wofür Childermass' Aufmerksamkeit benötigt wird? Kannst du dir nicht etwas einfallen lassen? Was ist mit dem Abendessen? Ist es vielleicht schon fertig?«
    Lucas schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Nachricht. Mr. Childermass tut, was ihm gefällt – wie immer. Und Sie haben das Abendessen für halb zehn bestellt, Sir. Das wissen Sie.«
    »Ich wünschte, Mr. Strange wäre hier«, sagte Mr. Norrell missmutig. »Er wüsste, was man ihnen sagen muss. Er wüsste, was zu tun wäre.«
    Lucas berührte seinen Herrn am Arm, als wollte er ihn aufwecken. »Mr. Norrell? Wir versuchen, Mr. Strange am Kommen zu hindern – falls Sie sich erinnern, Sir.«
    Mr. Norrell sah ihn gereizt an. »Ja, ja. Das weiß ich. Aber trotzdem!«
    Mr. Norrell und Lucas kehrten gemeinsam in den Salon zurück. Childermass drehte gerade die letzte Karte um. Lascelles starrte entschlossen in eine Zeitung.
    »Was sagen die Karten?«, fragte Mr. Norrell Childermass.
    Mr. Norrell hatte die Frage gestellt, doch Childermass richtete seine Antwort an Lascelles. »Sie sagen, dass Sie ein Lügner und ein Dieb sind. Sie sagen, dass es mehr als nur eine Botschaft gibt. Man hat Ihnen etwas gegeben, einen Gegenstand, etwas sehr Wertvolles. Es ist für mich bestimmt, und Sie behalten es ein.«
    Kurzes Schweigen.
    Lascelles sagte kalt: »Mr. Norrell, wie lange beabsichtigen Sie, mich auf diese Art beleidigen zu lassen?«
    »Ich frage Sie zum letzten Mal, Mr. Lascelles«, sagte Childermass. »Werden Sie mir geben, was mir gehört?«
    »Wie kannst du es wagen, einen Gentleman in diesem Ton anzusprechen?«, fragte Lascelles.
    »Und ist es die Tat eines Gentlemans, mich zu bestehlen?«, antwortete Childermass.
    Lascelles wurde totenbleich. »Entschuldige dich!«, zischte er. »Entschuldige dich bei mir, oder ich schwöre dir, du Hurensohn, du Abschaum sämtlicher Rinnsteine von Yorkshire, dass ich dich bessere Manieren lehren werde.«
    Childermass zuckte die Schultern. »Lieber ein Hurensohn als ein Dieb.«
    Mit einem wütenden Aufschrei packte Lascelles ihn und drückte ihn so fest gegen die Wand, dass Childermass' Füße nicht mehr den Boden berührten. Er schüttelte Childermass, und die Bilder an der Wand bebten in den Rahmen.
    Merkwürdigerweise schien Childermass Lascelles hilflos ausgeliefert zu sein. Seine Arme wurden irgendwie von Lascelles' Körper festgeklemmt, und obwohl er sich heftig mühte, schien er sie nicht befreien zu können. Binnen eines Augenblicks war es vorbei. Childermass

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