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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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nickte Lascelles kurz zu, wie um zu sagen, Lascelles habe gesiegt.
    Aber Lascelles ließ ihn nicht los. Stattdessen stemmte er sich so fest gegen ihn, dass Childermass zwischen ihm und der Wand gefangen war. Dann griff Lascelles nach dem Messer mit dem Perlmuttgriff und der gezackten Schneide. Er fuhr mit der Klinge langsam über Childermass' Gesicht und brachte ihm einen Schnitt vom Auge bis zum Mund bei.
    Lucas entfuhr ein Schrei, doch Childermass sagte gar nichts. Er befreite irgendwie die Hand und erhob sie. Sie war zu einer festen Faust geballt. So blieben sie einen Moment – wie ein Tableau –, dann ließ Childermass die Hand sinken.
    Lascelles grinste breit. Er ließ Childermass los und drehte sich zu Mr. Norrell um. Mit ruhiger, leiser Stimme sprach er zu ihm: »Ich lasse keinerlei Entschuldigungen gelten, die für diese Person angeführt werden. Ich wurde beleidigt. Würde diese Person einem Rang entsprechen, der meine Beachtung verdiente, so würde ich sie fordern. Das weiß diese Person. Ihre untergeordnete Position schützt sie. Soll ich noch einen Augenblick länger in diesem Haus bleiben, soll ich weiterhin Ihr Freund und Ratgeber sein, dann muss diese Person Ihre Dienste in dieser Minute verlassen! Wenn der heutige Abend vorüber ist, dann darf sein Name nie wieder erwähnt werden, weder von Ihnen noch von einem Ihrer Dienstboten, andernfalls droht ihm die Kündigung. Ich hoffe, Sir, das ist deutlich genug?«
    Lucas nutzte die Gelegenheit, um Childermass verstohlen eine Serviette zuzustecken.
    »Nun, Sir«, sagte Childermass zu Mr. Norrell und wischte sich das Blut vom Gesicht, »wer von uns soll es sein?«
    Ein langer Moment des Schweigens. Dann sagte Mr. Norrell mit heiserer Stimme, die seinem gewohnten Tonfall so gar nicht glich: »Du musst gehen.«
    »Leben Sie wohl, Mr. Norrell«, sagte Childermass und verbeugte sich. »Sie haben die falsche Wahl getroffen, Sir – wie immer!« Er sammelte seine Karten ein und ging.
    Er stieg hinauf zu seinem schmucklosen kleinen Schlafzimmer unter dem Dach und zündete die Kerze an, die auf dem Tisch stand. An der Wand hing ein zersprungener, billiger Spiegel. Er untersuchte sein Gesicht. Der Schnitt war hässlich. Sein Halstuch und die rechte Schulter seines Hemdes waren mit Blut getränkt.
    Er wusch die Wunde, so gut er konnte. Dann wusch er sich die Hände und trocknete sie.
    Vorsichtig holte er etwas aus seiner Rocktasche. Es war eine Dose von der Farbe des Kummers und etwa so groß wie eine Schnupftabakdose, aber etwas länger. Er flüsterte vor sich hin: »Über die eigene Ausbildung kommt man nicht hinweg.« 168
    Er öffnete sie. Eine Weile blickte er nachdenklich drein; er kratzte sich am Kopf und fluchte dann, denn beinahe wäre Blut in die Dose getropft. Er ließ sie zuschnappen und steckte sie in die Tasche.
    Seine Besitztümer einzusammeln dauerte nicht lange. Als da waren eine Mahagonikiste, die ein Paar Pistolen enthielt, eine kleine Geldbörse, ein Rasiermesser, ein Kamm, eine Zahnbürste, ein Stückchen Seife, ein paar Kleider (die alle genauso alt waren wie die, die er am Leib trug) und ein kleiner Packen Bücher, darunter eine Bibel, Der Rabenkönig. Eine Einführung für Kinder von Lord Portishead und ein Exemplar von Paris Omskirks Offenbarungen von sechsunddreißig anderen Welten . Mr. Norrell hatte Childermass über Jahre hinweg gut bezahlt, doch was er mit dem Geld anstellte, wusste niemand. Ganz gewiss, so bemerkten Davey und Lucas häufig untereinander, gab er es nicht aus.
    Childermass packte alles in einen schäbigen Koffer. Auf dem Tisch stand eine Schale mit Äpfeln. Er wickelte die Äpfel in ein Tuch und steckte sie ebenfalls in den Koffer. Als er nach unten ging, hielt er sich die Serviette ans Gesicht. Er war bereits im Stallhof, als ihm einfiel, dass seine Feder, seine Tinte und sein Merkheft noch im Salon lagen. Als er die Karten las, hatte er sie auf einen Beistelltisch gelegt. »Nun, es ist zu spät, um zurückzugehen«, dachte er. »Ich werde wohl neue kaufen müssen.«
    Im Stall erwarteten ihn Davey, Lucas, die Stallburschen und die Diener, die es geschafft hatten, sich aus dem Haus zu schleichen. »Was tut ihr denn alle hier?«, fragte er überrascht. »Trefft ihr euch zum Gebet?«
    Die Männer blickten einander an.
    »Wir haben Brewer für Sie gesattelt, Mr. Childermass«, sagte Davey. Brewer war Childermass' Pferd, ein großer unansehnlicher Hengst.
    »Danke, Davey.«
    »Warum haben Sie das mit sich geschehen lassen,

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