Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
eingerichtet, dass er bereits eine andere Verpflichtung hatte. Ein Aufenthalt in einem Landhaus in Yorkshire entsprach Lascelles' Vorstellung vom Fegefeuer. Im besten Fall, so stellte er sich vor, war Hurtfew wie sein Besitzer – staubig, altmodisch und zu ausgedehntem, langweiligem Schweigen neigend; als schlimmsten Fall malte er sich ein Bauernhaus aus, das im strömenden Regen auf einem dunklen, trostlosen Moor stand. Überrascht stellte er fest, dass nichts davon den Tatsachen entsprach. Das Haus hatte nichts Grusliges an sich. Es war modern, elegant und komfortabel, und die Dienerschaft bestand keineswegs aus den ungehobelten Knechten, die er sich vorgestellt hatte. Vielmehr waren es die gleichen Dienstboten, die auch in Mr. Norrells Haus am Hanover Square zur Verfügung standen. Sie waren in London ausgebildet worden und mit sämtlichen Vorlieben Lascelles' wohl vertraut.
    Doch das Haus eines jeden Zauberers hat seine Eigentümlichkeiten, und Hurtfew Abbey – das auf den ersten Blick so geräumig und elegant war – schien nach einem so verworrenen Plan gebaut worden zu sein, dass es ganz unmöglich war, von einer Seite des Hauses zur anderen zu gehen, ohne sich zu verlaufen. Am Vormittag wurde Lascelles von Lucas belehrt, er möge auf keinen Fall versuchen, allein in die Bibliothek zu gehen, sondern nur in Begleitung von Mr. Norrell oder Childermass. Das war, so sagte Lucas, die oberste Regel im Haus.
    Natürlich hatte Lascelles nicht die Absicht, ein Verbot einzuhalten, das ihm von einem Dienstboten überbracht worden war. Er untersuchte den östlichen Teil des Hauses und fand dort die übliche Anordnung von Frühstücksraum, Speisezimmer, Salon vor – aber keine Bibliothek. Er schloss daraus, dass die Bibliothek in dem unerforschten westlichen Teil liegen musste. Er machte sich auf den Weg und fand sich in dem Raum wieder, den er soeben verlassen hatte. In der Annahme, er habe irgendwo die falsche Richtung eingeschlagen, versuchte er es erneut. Diesmal endete er in einer der Spülküchen, in der eine kleine, unsaubere, schniefende Magd sich erst die Nase an der Hand abwischte und dann dieselbe Hand benutzte, um die Kochtöpfe zu spülen. Gleichgültig, welchen Weg er wählte, er brachte ihn umgehend entweder zurück in den Frühstücksraum oder in die Spülküche. Er war des Anblicks der kleinen Magd langsam überdrüssig, und sie schien nicht gerade begeistert zu sein, ihn zu sehen. Doch obwohl er den ganzen Vormittag an dieses ergebnislose Unterfangen vergeudete, kam ihm nie in den Sinn, sein Scheitern irgendetwas anderem als den Eigenheiten der Architektur in Yorkshire zuzuschreiben.
    Während der folgenden drei Tage blieb Mr. Norrell so lange wie möglich in der Bibliothek. Jedes Mal, wenn er Lascelles sah, konnte er sicher sein, neue Klagen über Childermass zu hören; Childermass hingegen belästigte ihn dauernd mit der Aufforderung, mittels Zauberei nach Drawlights Brief zu suchen. Am Ende fand er es einfacher, beiden aus dem Weg zu gehen.
    Überdies verheimlichte er vor den beiden etwas, was er herausgefunden hatte und was ihn außerordentlich beunruhigte. Seit der Trennung von Strange hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, Visionen heraufzubeschwören, um herauszufinden, was Strange trieb. Doch vergeblich. Eines Nachts vor etwa vier Wochen konnte er nicht einschlafen. Er war aufgestanden und hatte den Zauber vollführt. Die Vision war nicht sehr deutlich, doch er sah im Dunkeln einen Zauberer beim Zaubern. Er beglückwünschte sich dazu, dass es ihm endlich gelungen war, Stranges Gegenzauber zu durchbrechen; bis ihm schließlich klar wurde, dass er eine Vision seiner selbst in seiner eigenen Bibliothek betrachtete. Er versuchte es erneut. Er änderte die Sprüche. Er gab Strange unterschiedliche Namen. Es half nichts. Er war gezwungen, daraus zu schließen, dass die englische Zauberei den Unterschied zwischen ihm und Strange nicht mehr erkennen konnte.
    Briefe von Lord Liverpool und den Ministern trafen ein, die wütende Beschreibungen weiterer Zaubereien enthielten, die sich niemand erklären konnte. Mr. Norrell schrieb zurück und versprach, sich um diese Angelegenheiten sofort zu kümmern, sobald Strange bezwungen wäre.
    Am dritten Abend nach ihrer Ankunft saßen Mr. Norrell, Lascelles und Childermass gemeinsam im Salon. Lascelles aß eine Orange. Zum Schälen der Orange benutzte er ein kleines Obstmesser mit Perlmuttgriff und gezackter Schneide. Childermass legte seine Karten auf dem Tisch

Weitere Kostenlose Bücher