Jonathan Strange & Mr. Norrell
Zeitungen und Zauberzeitschriften wurden schreckliche Dinge über ihn geschrieben. Es geht das Gerücht, dass er seine Frau umgebracht hat. Viele Leute glauben es. Er wäre bestimmt schon längst festgenommen worden, befände er sich nicht in seiner derzeitigen Lage. Und es ist allgemein bekannt, dass der andere Zauberer der Urheber all dieser Lügen und Halbwahrheiten ist. Wahrscheinlich ist Strange gekommen, um sich an seinem Lehrer zu rächen.«
Der Herr starrte Stephen eine Weile an. Dann lachte er, plötzlich so guter Dinge, wie er gerade noch bestürzt gewesen war. »Wir haben nichts zu fürchten, Stephen!«, rief er hocherfreut. »Die Zauberer haben gestritten und hassen einander. Aber der eine ist nichts ohne den anderen. Wie froh mich das macht. Wie glücklich ich mich schätzen kann, Sie als Ratgeber zu haben. Und zufälligerweise will ich Ihnen heute ein wunderbares Geschenk machen – etwas, was Sie sich seit langem wünschen.«
»Wirklich, Sir?«, sagte Stephen und seufzte. »Das ist ja großartig.«
»Und doch sollten wir jemanden umbringen«, sagte der Herr und nahm plötzlich wieder das frühere Thema auf. »Man hat mich heute Morgen sehr aufgebracht, und dafür sollte jemand sterben. Was meinen Sie zu dem alten Zauberer? Nein, warten Sie. Damit täten wir dem jüngeren einen Gefallen, und das will ich nicht. Wie wäre es mit Lady Poles Mann? Er ist groß und hochmütig und behandelt Sie wie einen Dienstboten.«
»Aber ich bin ein Dienstbote, Sir.«
»Oder den König von England! Ja, das ist ein ausgezeichneter Plan. Lassen Sie uns sofort zum König von England gehen. Dann können Sie ihn umbringen und an seiner statt König sein. Haben Sie den Reichsapfel, die Krone und das Zepter, die ich Ihnen gegeben habe?«
»Aber die Gesetze von Großbritannien gestatten nicht...«, setzte Stephen an.
»Die Gesetze Großbritanniens! Pipifax! Was für ein Unsinn! Ich dachte, Sie hätten mittlerweile begriffen, dass die Gesetze von Großbritannien nichts weiter sind als ein dürftiges Zeugnis der leeren Wünsche und Träume der Menschheit. Gemäß den uralten Gesetzen, nach denen mein Volk lebt, folgt auf einen König in der Regel die Person, die ihn erschlagen hat.«
»Aber, Sir! Bedenken Sie doch, wie sehr Sie den alten Herrn mochten, als Sie ihn kennen lernten.«
»Hmm, das stimmt. Aber in einer so wichtigen Angelegenheit bin ich willens, meine persönlichen Gefühle hintanzustellen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir zu viele Feinde haben, Stephen. In England gibt es zu viele böse Menschen! Ich hab's! Ich werde meine Verbündeten fragen, wer mein größter Feind ist. Wir müssen vorsichtig sein. Wir müssen schlau sein. Wir müssen unsere Frage ganz genau formulieren. 172 Ich werde den Nordwind und die Morgendämmerung bitten, uns sofort zu der Person in England zu bringen, deren Existenz die größte Gefahr für mich darstellt! Und dann werden wir sie umbringen, wer immer es ist. Sie werden bemerkt haben, Stephen, dass ich von mir spreche, aber ich betrachte Ihr und mein Schicksal als so eng miteinander verbunden, dass es kaum einen Unterschied zwischen uns gibt. Wer immer mich bedroht, bedroht auch Sie. Und nun nehmen Sie die Krone, den Reichsapfel und das Zepter und sagen Sie Leb wohl zum Schauplatz ihrer Sklaverei. Es ist gut möglich, dass Sie nicht mehr zurückkehren werden.«
»Aber...«, sagte Stephen.
Es war zu spät. Der Herr hob die langen weißen Hände und vollführte eine Art salutierender Geste.
Stephen rechnete damit, vor den einen oder anderen Zauberer gebracht zu werden – möglicherweise beide. Stattdessen fanden sich der Herr und er in einem weiten leeren Moor wieder, das von Schnee bedeckt war. Es schneite. Auf der einen Seite reichte das Moor bis zum schweren schieferfarbenen Horizont; auf der anderen erhoben sich in der verschwommenen Ferne weiße Hügel. In dieser trostlosen Landschaft stand nicht weit von ihnen ein einziger Baum – ein verkrüppelter Weißdorn. Stephen dachte, dass es hier so aussah wie die Gegend um Starecross Hall.
»Nun, das ist höchst sonderbar«, sagte der Herr. »Ich sehe überhaupt niemanden. Sie etwa?«
»Nein, Sir. Niemanden«, sagte Stephen erleichtert. »Lassen Sie uns nach London zurückkehren.«
»Ich verstehe nicht... Warten Sie! Dort ist jemand.«
In ungefähr einer halben Meile Entfernung befand sich eine Straße oder ein Weg. Ein Pferd und ein Wagen näherten sich darauf. Als der Wagen auf gleicher Höhe mit dem Weißdorn
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