Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
neugierig vor.
    Der bleiche junge Mann schwieg.
    Lascelles stieß einen Laut des Unmuts aus. »Nun gut! Wenn Sie wollen, dann glauben Sie einfach, dass ich dieser Frau nur Böses will. Das ist mir ganz und gar einerlei. Pistolen?«
    Der bleiche junge Mann zuckte die Achseln.
    Da sie keine Sekundanten hatten, erklärte Lascelles, dass sie aus zwanzig Schritt Entfernung aufeinander schießen würden, und maß die Distanz selbst ab.
    Sie stellten sich auf und wollten schon abdrücken, als Lascelles etwas einfiel. »Warten Sie!«, rief er. »Wie heißen Sie?«
    Der junge Mann starrte ihn stumpf an. »Ich erinnere mich nicht«, sagte er.
    Sie schossen beide gleichzeitig. Lascelles hatte den Eindruck, dass der junge Mann im letzten Moment die Pistole drehte und daneben schoss. Lascelles war es gleichgültig: Wenn der junge Mann ein Feigling war, umso schlimmer für ihn. Seine eigene Kugel drang mit erfreulicher Genauigkeit in die Brust des jungen Mannes. Er sah seinem Sterben mit dem gleichen intensiven Interesse und der gleichen Befriedigung zu, die er auch empfunden hatte, als er Drawlight umbrachte.
    Er hängte die Leiche an den nächsten dornigen Baum. Dann amüsierte er sich damit, auf die verwesenden Leichen und die Schlangen zu schießen. Er widmete sich dieser vergnüglichen Tätigkeit noch nicht länger als eine Stunde, als er das Geräusch von Hufen auf dem Waldweg hörte. Eine dunkle Gestalt auf einem dunklen Pferd näherte sich ihm nicht aus England, sondern aus dem Elfenland.
    Lascelles drehte sich um. »Ich bin der Meister der Burg vom herausgerissenen Auge und vom herausgerissenen Herzen«, begann er...
KAPITEL 65
Die Asche, die Perlen,
die Tagesdecke und der Kuss
Mitte Februar 1817
    Als Lucas und die anderen Dienstboten Hurtfew Abbey verließen, kleidete Stephen sich in seinem Schlafzimmer oben im Haus in der Harley Street an.
    London ist eine Stadt mit einem mehr als gerechten Anteil von Exzentrizitäten, aber von allen staunenswerten Orten war im Augenblick Stephens Schlafzimmer zweifellos der außergewöhnlichste. Es war voller Dinge, die wertvoll, selten oder wunderbar waren. Wenn das Kabinett oder die Herren, die der Bank von England vorstanden, irgendwie in der Lage gewesen wären, der Dinge in Stephens Schlafzimmer habhaft zu werden, hätten alle ihre Sorgen ein Ende gefunden. Sie hätten Britanniens Schulden bezahlen und London mit dem Wechselgeld neu erbauen lassen können. Dank des Herrn mit dem Haar wie Distelwolle besaß Stephen Kronjuwelen aus Gott weiß welchen Königreichen und bestickte Roben, die einst den koptischen Päpsten gehört hatten. Die Blumentöpfe auf seinem Fensterbrett enthielten keine Pflanzen, sondern mit Rubinen und Perlen besetzte Kreuze, geschliffene Diamanten und die Insignien längst aufgelöster militärischer Orden. In seinem kleinen Schrank befand sich ein Stück der Decke der Sixtinischen Kapelle und der Oberschenkelknochen eines baskischen Heiligen. An einem Haken hinter der Tür hing der Hut des Heiligen Christopherus, und eine Marmorstatue des Lorenzo de Medici von Michelangelo (die bis vor kurzem auf dem Grabmal des großen Mannes in Florenz gestanden hatte) nahm einen großen Teil des Bodens ein.
    Stephen rasierte sich vor einem kleinen Spiegel, der auf Lorenzo de Medicis Knie stand, als der Herr neben seiner Schulter auftauchte.
    »Der Zauberer ist nach England zurückgekehrt!«, rief er. »Ich habe ihn letzte Nacht auf den Königswegen gesehen, in die Dunkelheit gehüllt wie in einen mystischen Umhang. Was will er nur? Was hat er vor? Oh! Das wird mein Ende sein, Stephen. Ich spüre es. Er will mir Böses.«
    Stephen schauderte. Der Herr war immer am gefährlichsten, wenn er aufgeregt und beunruhigt war.
    »Wir sollten ihn umbringen«, sagte der Herr.
    »Ihn umbringen? Oh nein, Sir.«
    »Warum nicht? Dann wären wir ihn für immer los. Ich fessle ihn mit Zauberei an Händen, Augen und Zunge, und Sie bohren ihm ein Messer ins Herz.«
    Stephen dachte hastig nach. »Aber vielleicht hat seine Rückkehr überhaupt nichts mit Ihnen zu tun, Sir. Bedenken Sie doch, wie viele Feinde er in England hat – menschliche Feinde, meine ich. Vielleicht ist er zurückgekommen, um seinen Streit mit einem von ihnen fortzuführen.«
    Der Herr blickte zweifelnd drein. Es fiel ihm schwer, Argumenten zu folgen, die nicht Bezug auf ihn nahmen. »Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich«, sagte er.
    »Oh, aber ja«, sagte Stephen und fühlte sich etwas sicherer. »In den

Weitere Kostenlose Bücher