Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
rasch hierhin und dorthin wie bei jemandem, der die Welt neu sieht. Alle im Raum bemerkten, dass sie verändert war. Ihre Miene war lebhaft und leidenschaftlich. Sie hob beide Arme; ihre Hände waren zu festen Fäusten geballt, als hätte sie vor, jemanden auf den Kopf zu schlagen.
    »Ich war verzaubert!« , brach es aus ihr heraus. »Als Faustpfand der Karriere eines niederträchtigen Mannes!«
    »Gütiger Gott!«, rief Mr. Segundus. »Meine liebe Lady Pole...«
    »Fassen Sie sich, Mr. Segundus«, sagte Childermass. »Wir haben keine Zeit für Unwichtiges. Lassen Sie sie sprechen.«
    »Ich war innerlich tot und äußerlich nahezu tot.« Tränen strömten ihr über die Wangen, und sie schlug sich mit den Fäusten an die Brust. »Und nicht nur ich! Andere leiden jetzt noch. Mrs. Strange und der Diener meines Mannes, Stephen Black!«
    Sie erzählte von den kalten gespenstischen Bällen, die sie hatte über sich ergehen lassen müssen, von den trostlosen Umzügen, an denen sie hatte teilnehmen müssen, und von der merkwürdigen Behinderung, die es nicht zuließ, dass sie und Stephen Black von ihrer Not sprachen.
    Mr. Segundus und die Dienstboten nahmen jede neue Enthüllung mit wachsendem Entsetzen auf; Childermass saß da und hörte mit unbewegter Miene zu.
    »Wir müssen an die Herausgeber der Zeitungen schreiben«, rief Lady Pole. »Ich bin entschlossen, sie öffentlich bloßzustellen.«
    »Wen bloßzustellen?«, fragte Mr. Segundus.
    »Die Zauberer natürlich. Strange und Norrell.«
    »Mr. Strange?«, stammelte Mr. Segundus. »Nein, nein, Sie täuschen sich. Meine liebe Lady Pole, bedenken Sie einen Augenblick, was Sie da sagen. Für Mr. Norrell kann ich kein gutes Wort einlegen – seine Verbrechen gegen Sie sind ungeheuerlich. Aber Mr. Strange hat nichts Böses getan – zumindest nicht wissentlich. Es wurde doch gewiss mehr gegen ihn gesündigt, als er gesündigt hat?«
    »Oh!«, rief Lady Pole. »Im Gegenteil! Ich betrachte ihn als den bei weitem Schlimmeren der beiden. Durch seine Nachlässigkeit und kalte männliche Zauberei hat er die beste aller Frauen, die beste aller Ehefrauen verraten.«
    Childermass stand auf.
    »Wohin gehen Sie?«, fragte Mr. Segundus.
    »Ich muss Strange und Norrell finden«, sagte Childermass.
    »Warum?«, rief Lady Pole und verstellte ihm den Weg. »Um sie zu warnen? Damit sie sich gegen die Rache einer Frau wappnen können? Oh, wie diese Männer doch zusammenhalten.«
    »Nein, ich werde ihnen meine Hilfe anbieten, um Mrs. Strange und Stephen Black zu befreien.«
    Lascelles ging weiter. Der Weg führte in einen Wald. Am Rand des Waldes stand die Statue einer Frau, die ein herausgerissenes Auge und ein herausgerissenes Herz in Händen hielt – genau wie Childermass es beschrieben hatte. Von den dornigen Bäumen hingen Leichen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Schnee lag auf dem Boden, und es war sehr still.
    Nach einer Weile gelangte er zu dem Turm. Er hatte ihn sich als phantastisches, anderländisches Bauwerk vorgestellt. Aber in Wirklichkeit, dachte er, ist er ziemlich schlicht, wie die Burgen im schottischen Grenzland.
    Hoch oben im Turm befand sich ein einziges von einer Kerze erhelltes Fenster, hinter dem beobachtend ein Schatten stand. Und noch etwas fiel Lascelles auf, etwas, was Childermass entweder nicht gesehen oder sich nicht die Mühe gemacht hatte, zu erwähnen: Die Bäume waren voller schlangenähnlicher Wesen von schwerer hängender Gestalt. Eines verschlang gerade einen frischen, fleischig aussehenden Leichnam.
    Zwischen den Bäumen und dem Bach stand der bleiche junge Mann. Seine Augenhöhlen waren leer und seine Stirn war mit Tau benetzt. Lascelles meinte, dass er die Uniform der II. Leichten Dragoner trug.
    Lascelles sprach ihn so an: »Ein Landsmann von mir war vor ein paar Tagen bei Ihnen. Er sprach Sie an. Sie forderten ihn heraus. Dann lief er weg. Es war ein dunkler hässlicher Kerl. Eine Person von verachtenswerten Gewohnheiten und niederer Herkunft.«
    Falls der bleiche junge Mann Childermass aufgrund dieser Beschreibung wiedererkannte, so ließ er es sich nicht anmerken. Mit toter Stimme sagte er: »Ich bin der Meister der Burg vom herausgerissenen Auge und vom herausgerissenen Herzen. Ich fordere alle heraus, die ...«
    »Ja, ja!«, rief Lascelles ungeduldig. »Das ist mir einerlei. Ich bin gekommen, um zu kämpfen. Um den Fleck auf Englands Ehre auszumerzen, den die Feigheit dieses Kerls hinterlassen hat.«
    Die Gestalt am Fenster beugte sich

Weitere Kostenlose Bücher