Jones, Diana Wynne
uns von den Bäumen ab, bis wir an höheres Gelände gelangten, das noch aus dem Wasser ragte. Dort landeten wir und nahmen einen Teil der Glut aus den Feuertöpfen. Zum Abendbrot brieten wir gepökelte Forelle, und sie schmeckte uns vorzüglich. Gull hatte sich so weit erholt, dass er ohne unsere Hilfe essen konnte.
»Ich glaube, der Strom hat einen heilenden Einfluss auf ihn«, sagte Hern.
Nach langem Hin und Her beschlossen wir, im Boot zu übernachten. Hern und Entchen sprachen sich dafür aus, an Land zu schlafen. Robin entgegnete mit unbeirrbarer Vernunft, dass wir in dem Fall, dass die Männer aus dem Dorf uns fänden, nur unser Boot losbinden müssten, um ihnen zu entkommen. Entchen erwiderte, dann könnten wir genauso gut in den Wald fliehen. Am Ende meinte Robin: »Gull ist das Familienoberhaupt. Wir wollen ihn fragen. Gull, sollen wir an Land oder im Boot schlafen?«
»Im Boot«, antwortete Gull.
Mitten in der Nacht riss Gull uns durch Schreie und lautes Reden aus dem Schlaf. Robin sagt, dass er zuerst von Unheil und den Heiden sprach, doch als ich erwachte, brüllte er: »So viele Menschen! So viele Menschen, und alle hasten umher. Ich will nicht mit ihnen gehen. Helft mir doch!« Dann rief er nach meinem Vater, und ich hörte, wie er zu weinen begann.
Wir alle setzten uns auf, und Hern entzündete die kleine Laterne. Gull lag im Boot. Er schien zu schlafen, doch er redete, und sein Gesicht war tränenüberströmt. Robin beugte sich über ihn und sagte: »Alles ist gut, Gull. Du bist jetzt bei uns. Hier kann dir nichts geschehen.«
»Wo ist Onkel Falk?«, fragte er.
»Er hat dich zu uns gebracht, weil das am sichersten für dich war«, antwortete Robin.
»Vor den hastenden Leuten bin ich aber nicht sicher«, entgegnete Gull. »Sag jetzt bloß nicht, ich soll mich zusammenreißen und wie ein Mann benehmen. Sie wollen mich mitnehmen.«
Wir fragten uns, wer Gull wohl aufgefordert habe, sich zusammenzureißen. Wahrscheinlich unser Vater. Die Leute nannten ihn nicht ohne Grund den Zugeknöpften. Er hatte es nie gemocht, wenn jemand aussprach, was ihn bedrückte.
»So etwas würden wir nie zu dir sagen«, beruhigte Robin ihn. »Wir werden dich vor allem beschützen.«
»Ich will Onkel Falk sprechen«, sagte Gull. »Die Menschen hasten.«
So ging es noch lange weiter. Jedes Mal, wenn es schien, dass er Robin endlich zuhörte, und sie ihn ein wenig beruhigen konnte, fragte Gull nach Onkel Falk und redete über diese hastenden Menschen. Robin blickte immer ratloser drein. Hern und ich machte ihr viele Vorschläge, was sie ihm sagen solle, und sie befolgte sie auch, doch eine Stunde später glaubten wir bestimmt, dass Gull überhaupt nicht hörte, was man sprach.
»Was sollen wir denn nur tun?«, fragte Robin.
Entchen hatte währenddessen mit untergeschlagenen Beinen im Halbschlaf bei uns gesessen und die Dame in den Armen gewiegt. »Versuch es mal hiermit«, sagte er plötzlich und hielt Robin die Dame hin – natürlich an ihrem Kopf.
Aber damit hatten wir Erfolg. Gull ergriff die Dame mit beiden Händen und drückte sie sich an die Wange. »Danke«, sagte er nur, rollte sich zur Seite und schlief ein, das Gesicht an das harte Holz geschmiegt. Ich sah Entchen an, wie sehr er es bedauerte, die Dame verloren zu haben, aber er sagte kein Wort.
4.
Von da an ging es Gull mit jedem Tag schlechter.
Als wir am nächsten Morgen aufwachten, war unsere einstige Feuerstelle vom steigenden Hochwasser überflutet worden. Der Baum, an dem wir das Boot festgebunden hatten, stand nun gut zwanzig Schritt vom Wasserrand entfernt; danach schliefen wir immer im Boot. Auch Gull war aufgewacht. An der Wange trug er den Abdruck der Dame. Er blieb reglos liegen, bis Hern begann, das Boot zum trockenen Land zu staken. Gull setzte sich auf und rief: »Wohin willst du denn? Wir müssen weiter!«
»Warum müssen wir denn weiter?«, fragte Hern. Er war schlecht gelaunt, weil er kaum geschlafen hatte.
»Wir müssen zum Meer. Schnell«, erklärte Gull. Die Tränen liefen ihm die Wangen hinunter und zogen Streifen über den Abdruck der Dame.
»Das machen wir auch«, versprach ihm Robin. »Hern, sei still.«
»Warum sollte ich? Ich höre zum ersten Mal, dass wir zum Meer wollen«, entgegnete Hern. »Was ist denn jetzt wieder in ihn gefahren?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Robin hilflos.
Gull ließ seine neue Besessenheit keine Ruhe – und uns auch nicht. Wann immer wir anhielten, um etwas zu essen, begann er zu weinen
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