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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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erblickten und er wegen des Hochwassers das ganze Tal erfüllte. Wie wir ihn so vor uns liegen sahen, wurde er in der Ferne weiß und reichte von einem Berg zum anderen. Ich glaube, es waren echte Berge. Sie ragten so hoch auf, dass graue Wolken auf ihnen saßen, und sie waren blau, grau und purpurn, genau, wie Onkel Falk uns die Berge beschrieben hatte. In unserem ganzen Leben hatten wir noch keine solch große Wasserfläche gesehen wie diesen See. Normalerweise wären wir von seinem Anblick begeistert gewesen. Wo Wasser in solchen Mengen zusammenkommt, gibt es keinen Stillstand. Es ist grau und schlägt plätschernd und glucksend Wellen. Wie Haarbänder breiten sich Schaumlinien nach hinten in die Richtung aus, aus der die Wellen gekommen sind. Über die Wasserfläche blies ein scharfer Wind.
    »Es zieht entsetzlich!«, sagte Entchen. Er kauerte ins Boot nieder und drückte seine geliebte Dame fester an sich.
    Hern sagte angewidert: »Das sind aber viele Meilen! Ich hasse es, wenn ich sehen kann, wie weit ich es noch habe.«
    Wenn ich genauer darüber nachdenke, stammen diese Worte vielleicht doch von mir. Hern und mir, uns beiden war der See einfach zu groß. Gull rappelte sich auf und blickte in die Runde. »Warum halten wir an?«, wollte er wissen.
    Wir hatten nicht angehalten, doch die Strömung lief schwächer durch diese Wassermassen, und ich glaube, unser Boot war zur Seite abgedriftet, als wir auf den See hinausfuhren. Vor uns entdeckte ich Gekräusel und Verwirblungen, die eher gelb als grau waren; dort verlief innerhalb der weiteren Wasserfläche die Strömung des Flusses.
    »Setzt das Segel«, sagte ich.
    »Kommandier mich bloß nicht herum«, erwiderte Hern. »Na los, Entchen, hilf mir.«
    »Will nicht«, sagte Entchen. Ihr seht, wie gereizt wir alle waren.
    Hern richtete gerade den Mast auf, als Gull fragte: »Was machst du da? Warum fahren wir nicht weiter?«
    »Ich sorge doch dafür, dass wir weiterfahren können, du hirnloser Trottel!«, schrie Hern. »Ich setze das Segel. Jetzt halt den Mund!«
    Ich glaube nicht, dass Gull ihm zugehört hatte, doch Robin fragte: »Hern, kannst du dem armen Gull gegenüber nicht ein wenig mehr Mitgefühl zeigen?«
    »Ich bin ja mitfühlend!«, stieß Hern wütend hervor. »Aber wenn ich vorgeben würde, ihn so zu mögen, wie er jetzt ist, dann wäre ich unehrlich. Wenn’s dir nicht passt, was ich sage, dann sag ihm, er soll den Mund halten.«
    Robin schwieg. Wir bauten den Mast auf und setzten das Segel, und Entchen geruhte, das Schwert des Bootes herunterzulassen. Dieses Schwert hat mein Vater erfunden; es macht einen flachen Flusskahn zu einem guten Segler, und er hatte nie einen besseren Einfall. Geneigt durchschnitten wir das graue Wasser. Gull lag still auf dem Boden. Entchen sang. Wenn ihr ihn singen hören könntet, dann wüsstet ihr, weshalb wir ihn Entchen nennen. Hern stauchte ihn deswegen zusammen. Mir fiel auf, dass Robin während ihres Gezänks kein Wort sagte. Sie war kreidebleich und rang die Hände.
    »Hast du was?«, fragte ich sie. Ich ärgerte mich über sie.
    »Ich glaube, wir werden alle ertrinken«, sagte Robin. »Der See ist so groß und so tief! Seht euch nur die riesigen Wellen an!« Ich hätte sie ausgelacht, wenn ich damals schon einmal das Meer gesehen hätte. Doch das Boot neigte sich stark, und das Wasser schäumte heftig am Bug vorbei. Zu beiden Seiten war das Ufer meilenweit entfernt – viel zu weit zum Schwimmen –, und ich hielt den See für ziemlich tief. Allmählich steckte mich Robin mit ihrer Angst an. Hern äußerte nicht, was in ihm vorging, doch er lenkte das Boot nicht in die Mitte des Sees, wo die Strömung verlief. Er steuerte es zur Seite, dichter ans Ufer. Bald näherten wir uns einer bewaldeten Landspitze, die in den See hineinragte. Die Bäume reichten bis ans Ufer und darüber hinaus; es sah aus, als würden sie nacheinander in den See marschieren. Wir fuhren über Baumwipfel hinweg, die ganz unter Wasser standen. Als Robin sie entdeckte und ihr klar wurde, wie tief der See wirklich war, kreischte sie auf und streckte unwillkürlich die Hand nach dem Einen aus, doch empfand sie zu tiefe Ehrfurcht vor ihm, um ihn an sich zu nehmen. Sie tastete weiter, bis sie den Jüngling fand, und hielt ihn so fest, dass ihre Hände weiß wurden.
    Wir passierten weitere Landzungen und noch mehr überschwemmte Bäume und gelangten in eine weite Bucht, wo der See ein Seitental überflutet hatte. Am weit entfernten Wasserrand

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