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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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und drängte uns zur raschen Weiterfahrt. Noch schlimmer aber war es, wenn wir die Fahrt unterbrachen, um zu übernachten. Gull hielt uns alle mit seinem Gerede von Heiden und hastenden Menschen wach, vor allem aber dadurch, dass er immer wieder ausrief, wir müssten weiterfahren, den Strom hinab ans Meer. Ich war bald fast schon zu müde, um mir das Ufer anzusehen, was ich sehr bedauerte, denn nach dem ersten Tag bot das Land immer wieder neue, unbekannte Anblicke. Am zweiten Tag floss der Strom zwischen steilen Hügeln hindurch, die dichter Wald bedeckte. Die Bäume blühten in allen Farben von Knospengrün zu leuchtendem Rot, und es wimmelte von umherflatternden Vögeln, sodass der Himmel wie von Spreu bedeckt erschien. Zwischen den Bäumen und Vögeln entdeckten wir einmal ein großes Steinhaus mit einem Turm ähnlich dem einer Windmühle und ganz wenigen, schmalen Fenstern.
    Hern betrachtete das Bauwerk mit großer Neugier. Er sagte, es lasse sich leicht verteidigen, und wenn es leer stünde, fänden wir dort eine gute Unterkunft.
    »Wir dürfen hier nicht anhalten!«, begehrte Gull auf.
    »Es war nur ein Vorschlag, du Dummkopf!«, entgegnete Hern.
    Insgesamt zeigte Hern immer weniger Nachsicht mit ihm. Wer sollte es ihm verübeln, denn Gull war wirklich sehr anstrengend. Als die Hügel näher zusammenrückten und den Strom einschnürten, schoss das Wasser umso schneller dahin, je enger es wurde, und wir mit ihm, und trotzdem ging es Gull nicht schnell genug.
    »Am liebsten wäre ich schon morgen am Meer, damit du endlich den Mund hältst!«, sagte Hern zu ihm.
    Im Laufe des Tages benahm sich auch Entchen immer schlechter, bis er genauso schlimm war wie Hern. Wann immer Gull sagte, wir müssten uns beeilen, seufzte er sarkastisch. Hern und er lachten und alberten herum, anstatt uns zur Hand zu gehen, wenn wir Gull versorgten. Ich gab Entchen mehrmals einen Klaps, und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich auch Hern geschlagen. Obwohl Robin mich deswegen zurechtwies, ohrfeigte ich Entchen am Abend wieder, weil er Gull die Dame nicht überlassen wollte.
    Die Dame fest an sich gedrückt, sprang Entchen an Land. Er hatte Glück, dass er nicht ins Wasser fiel. Wir hatten zwischen kleinen braunen Büschen festgemacht, hinter denen schleimige Erde anstieg; als Ufer konnte man den Wasserrand kaum bezeichnen. Der Strom drückte unser Boot in die Büsche und zerrte es wieder zurück. »Sie gehört mir!«, brüllte Entchen, der mit den Füßen scharrte, um auf dem glitschigen Boden nicht auszurutschen. »Ich brauche sie. Gib Gull den Einen. Der Eine ist am stärksten.«
    Ich war so wütend auf ihn, dass ich ihm hinterherklettern wollte, aber das Boot trieb gerade von den Büschen weg, und Robin packte mich hinten beim Mantel und zerrte mich zurück. »Lass ihn in Ruhe, Tanaqui«, befahl sie mir. »Sei nicht genauso schlimm wie er. Gull soll es mit dem Einen versuchen.«
    Wir drückten Gull den dunklen, glitzernden Einen in die Hand, doch er schrie nur auf und erschauerte. »Er ist so kalt. Er zerrt an mir. Können wir jetzt weiterfahren?«
    »Wir müssen auch mal schlafen, Gull«, entgegnete ich. Ich war fast genauso gereizt wie Hern. Ich reichte Gull statt des Einen den Jüngling, doch auch ihn wollte er nicht haben. Wir verbrachten eine scheußliche Nacht.
    Am nächsten Morgen überließ Entchen mit beschämter Miene Gull die Dame. Da aber wollte Gull selbst sie nicht mehr nehmen. Robin gelang es nur mit Mühe, ihn zum Essen zu bewegen. Er drängte uns, das Boot loszubinden und weiterzufahren.
    »Es geht doch nichts über eine vergnügliche Fahrt ans Meer«, sagte Hern. »Und was mag er erst wollen, wenn wir dort ankommen?«
    »Ich finde, wir sollten ihn nicht ans Meer bringen«, sagte Entchen.
    »Ach nein, nicht du auch noch!«, fuhr Hern auf. »Warum nicht?«
    »Weil die Dame es nicht möchte«, antwortete Entchen.
    »Wann hat sie dir denn das gesagt?«, fragte Hern höhnisch.
    »Das hat sie nicht«, sagte Entchen. »Ich hatte nur so ein Gefühl, und dann wusste ich es genau.«
    Fast den ganzen Morgen lang zog Hern ihn mit seinem Gefühl auf. Robin wies Hern zurecht, ich schimpfte mit Entchen. Wir waren alle todmüde.
    Noch am gleichen Tag erreichten wir den See. Die Hügel zu beiden Seiten des Stromes wichen auseinander, und bevor wir es uns versahen, fuhren wir auf die Spitze eines lang gestreckten, gewundenen Sees zu. Ich habe gehört, dass der See für gewöhnlich viel kleiner ist als zu der Zeit, da wir ihn

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