Jones, Diana Wynne
umher und fingen das Sonnenlicht auf eine Art, die mich blinzeln ließ.
»Was sind das für große Trauervögel?«, fragte ich.
Hern lachte. »Hast du etwa noch nie Seemöwen gesehen?«
»Vielleicht nicht«, sagte Robin. »Sie kommen schon seit Jahren nicht mehr nach Iglingen. Früher kamen sie und bedeckten das ganze Feld, während es gepflügt wurde, Tanaqui. Vater sagte, sie flögen ins Binnenland, um den Frühlingsstürmen zu entkommen.«
»Aber ich erinnere mich an sie«, begehrte Hern auf. »Sie ist nur ein Jahr jünger als ich.«
»Bitte, Hern«, sagte Robin. »Ich bin einfach zu müde, um mich wegen Seemöwen zu streiten.«
»Sie kamen immer nach dem Hochwasser«, sagte Hern. »Heißt das also, der Strom sinkt?« Er schoss zum Ufer, um den Wasserstand zu messen. Fast jeden Tag probierte er eine neue Methode aus, mit der er erkennen wollte, ob das Hochwasser vorüber war, doch je näher wir dem Meer kamen, desto stärker und höher wurden die Gezeiten und machten seine Messungen zunichte. Diesmal hängte Hern ein Stück Garn mit Knoten darin von einem Busch ins Wasser. Doch statt einzusinken, trieb das Ende auf der Wasserfläche, und Schätzchen kam herbei und spielte damit. Hern knurrte sie an. Es war schon eigenartig: Von uns allen war ausgerechnet Hern fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass der Eine zum richtigen Zeitpunkt ins Feuer kam.
Entchen hob Schätzchen auf. »Nun mach nicht so ein Getue, Hern«, sagte er. »Wenn das Wasser sinkt, sehen wir es doch am Ufer.«
»Aber wir kennen das Ufer gar nicht, wie also sollen wir entscheiden, ob das Wasser sinkt!«, entgegnete Hern verächtlich.
»Dann finden wir eine andere Möglichkeit«, meinte Entchen.
»Hör auf, mich zu ärgern«, sagte Hern. »Und bring die Katze weg.«
Als wir am Morgen weiterfuhren, war Robin sehr still. Ich hätte merken sollen, dass es ihr nicht gut ging, aber ich hatte andere Dinge im Kopf. Die Möwen folgten uns. Sie gaben grelle Elendslaute von sich, und ich fürchtete mich vor ihnen. Sie beobachteten uns mit gierigen Augen, die schwarzen Perlen glichen. Wenn sie auf dem Strom schwammen, erschienen sie heller als natürlich. Ich war mir nicht sicher, ob es sich bei ihnen wirklich um Vögel handelte. In der Luft war ein neues Licht, ausgebleicht und kalkig wie Knochen oder Herns Augen, wenn er zornig ist, und die Möwen zogen darin ihre Kreise. Die niedrigen Hügel auf beiden Ufern waren steinig, ohne Bäume, die einer Erwähnung wert wären, und schienen sich vor uns in einer Nebelbank zu vereinen. Der Wind pfiff über sie hinweg. Die weite Lücke zwischen ihnen erfüllte der Strom, der nun grau war und in allen Richtungen von drohenden Kräuseln bedeckt. Wo das Wasser gegen das Land schwappte, erhob es sich zu hohen Wellen mit weißen Kronen. Immer höher türmten sie sich, bis sie einfach zu hoch wurden und die weiße Krone vornüberkippte und auf das Land krachte. Ringsum tosten die Brecher und schrien die Seemöwen. Ich blickte immer wieder auf Gull, um mich zu vergewissern, dass ihm nichts geschehen konnte. Ich fürchtete mich.
Auch Hern und Entchen bekamen es mit der Angst zu tun, als wir feststellen mussten, dass wir das Boot nicht mehr im Griff hatten. Niemand von uns begriff die Unzahl gegenläufiger Strömungen, in denen das Wasser zum Meer floss. Manchmal sausten wir vorwärts, manchmal schienen wir uns überhaupt nicht zu bewegen, und gegen Mittag packte uns die Gezeit und trug uns zurück in Richtung von Schätzchens Insel. Wir setzten das Segel und versuchten zu lavieren, wurden aber immer weiter nach links abgetrieben. Als der Morgen vorüber war, hatten wir kaum zwei Meilen zurückgelegt.
»Ich glaube, wir sollten uns weiterhin links halten«, sagte Hern schließlich, »und dann versuchen wir, irgendwo dort zu landen.«
»O ja, lasst uns an Land gehen!«, rief Robin. Als wir hörten, mit welcher Inbrunst sie sprach, drehten wir uns zu ihr um und sahen, dass sie krank war. Sie zitterte, und ihr Gesicht hatte eine eigentümliche Farbe – fast wie der Flieder in Tante Zaras Garten. Ich glaube, es war falsch von uns, Robin zum Meer mitzunehmen.
Hern sagte: »Ich lande bei der erstbesten Gelegenheit.«
Entchen nahm eine Decke und wickelte Robin darin ein. »Möchtest du gern die Dame, Robin?«, fragte er. Heute kann ich zugeben, dass ich damals eifersüchtig war, als ich sah, wie freundlich sie beide zu Robin waren. Mir fiel es schwer, sie freundlich zu behandeln, und so geht es mir immer noch. Sie sah
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