Jones, Diana Wynne
er stammte von einem viel kleineren Jungen. Er war im Kanal, strampelte im rasenden Schlammwasser um sich und schoss so rasch vorbei, wie ich laufen konnte, und hörte nicht auf zu schreien. Einen entsetzlichen Augenblick lang schien ich nur dazustehen und zu gucken, aber ich glaube, ich zog meine Schuhe aus und streifte den Wollmantel ab, während ich auf das Kind starrte.
»Schwimm!«, rief ich ihm zu. »Schwimm um dein Leben!« Der Junge hörte mich. Mit Armen und Beinen spritzte er Wasser um sich, aber ich sah gleich, dass er überhaupt nicht schwimmen konnte. Ich rannte ins Wasser. Ich erinnere mich noch, wie ich aufschrie, denn es war weit kälter als der Strom bei Iglingen, und was ich für Grund gehalten hatte, war überhaupt kein Grund; es war nur Schlick, der sich absetzte. Man musste schwimmen oder versank im Schlamm. Ich schwamm wie wild. Noch nie war ich während des Hochwassers geschwommen. Mein Vater hatte es mir immer verboten, und ich glaube, selbst in der ersten Nacht des Hochwassers war die Strömung nicht so schlimm wie in diesem engen Kanal. Mir wurden die Beine zur Seite gerissen, noch bevor ich zu schwimmen begonnen hatte. Kein Wunder, dass der Junge so schrie. Ich schwamm mit all meiner Kraft, und trotzdem schien ich diesen schmalen Kanal nicht durchqueren zu können.
Ich glaube, ich verdanke es nur meinem größerem Gewicht, dass ich den ertrinkenden Jungen noch einholte. Weil ich versuchte, mich nach vorn zu arbeiten, wurde ich schräg zu ihm getragen. Das heißt, ich wurde an die Stelle getragen, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte; während dieser Zeit aber war er schon einmal untergegangen. Ich fürchtete, er sei bereits ertrunken, und überlegte, wie ich mich selbst am besten retten könnte, als ein schwerer, sandfarbener Haarschopf gleich vor meinen Fingern aus dem Wasser auftauchte. Ich krallte meine Finger in das Haar und zog.
Dann griffen die Panik und die Todesangst des Jungen auf mich über. Beide schlugen wir um uns, schrien und versanken. Ich brüllte ihn an, er solle ruhig sein, und er kreischte zurück, ich möge ihn loslassen und herausholen, und dann begann er mich zu beschimpfen. Ich nannte ihn einen dämlichen Trottel und rang mit ihm, bis das Wasser ringsum umherspritzte. Während wir kämpften, trug die Strömung uns am Ufer vorbei, und ich begriff, dass sie uns zum Meer hinausziehen wollte. Ich stemmte mich mit der Hand gegen das Ufer, um uns abzubremsen, und sie versank bis zum Ellbogen darin. Das verfolgt mich noch heute in meinen Träumen: Die Böschung war so weich wie Quark. Irgendwie gelang es mir trotzdem, uns dort hinaufzuziehen, raus aus dem reißenden Wasser, und dafür sanken wir in das quarkweiche Land ein. Ich kroch darauf entlang und zerrte den armen Jungen an seinem Haar hinter mir her. Schließlich spürte ich festen, grobkörnigen Sand unter meinen Ellbogen und weinte vor Erleichterung.
Auch der Junge weinte. Er hockte auf Händen und Knien, und Wasser rann ihm aus dem Mund und aus den Haaren. Sein Gesicht war rot und blau gefleckt, und seine nackten Füße und seine Beine waren überall abgeschürft. Er trug eine albern aussehende Jacke und kurze Hosen, in denen er schon gefroren haben musste, als er noch trocken war. Er zitterte, und ich bebte.
»Sei ruhig«, sagte ich. »Du hast es geschafft.« Er sah mich an, als sei alles nur meine Schuld. »Du bist gerettet«, sagte ich. »Ich habe dich gerettet. Du siehst vor dir den Menschen, der dich aus dem Wasser geholt hat. Wie bist du eigentlich reingefallen?« Das wollte er mir offenbar nicht sagen, denn er murmelte nur etwas vor sich hin. »Verstehe«, sagte ich. »Du hast rumgealbert und bist ausgerutscht. Wo wohnst du?«
Er bedachte mich mit einem verschlagenen Blick. Ich glaube, er brummte: »Das habe ich nicht gesagt«, aber er sprach immer noch nicht deutlich.
»Was hast du denn gesagt?«
»Ich hab gesagt, dass ein paar Eingeborene mich reingeschubst haben.« Er sprach sehr laut und sehr deutlich, sodass ich mich nicht verhört haben konnte, und sah mich so trotzig an, wie Menschen es oft tun, wenn sie lügen.
»Du schwindelst«, sagte ich, aber ich sprach ohne nachzudenken. Das arme Kind war ein Heide. Mein nasses Haar war von der gleichen Farbe wie seins, und ich wusste genau, dass es trocken ebenso hell wäre. Ich dachte, hätte ich ihn ertrinken lassen, so hätte ich endlich Rache für meinen Vater genommen, aber was hatten mein Vater und er miteinander zu tun? Ich hätte es nicht übers
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