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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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für … für den Scheiterhaufen des Einen?«
    Für den Fall, dass jemand, der den Einen nicht kennt, meine Webarbeit liest, muss ich anmerken, dass einmal im Jahr, wenn die Frühjahrsflut sinkt, der Eine in einen Scheiterhaufen gelegt werden muss, aus dem er neuerstanden wieder hervorkommt. Diese Angewohnheit ist zwar sehr eigenartig, doch der Eine ist eben der Eine und gleicht keinem anderen Unvergänglichen. Ich weiß nicht, was geschehen würde, wenn der Eine zur falschen Zeit ins Feuer gelegt wird. Niemand hat je gewagt, das auszuprobieren.
    Hern machte einen Buckel und brütete. In seinen Augen stand die finstere Düsterkeit, die mir stets Angst einjagt. Mein Bruder Hern wird einmal zu einem furchteinflößenden Mann heranwachsen, wenn er so wütend bleibt. Die Art, wie er die Schultern hängen ließ, und seine vorspringende Nase riefen mir den Schatten zu Gedächtnis, den Onkel Falk an unsere Wand geworfen hatte. Hern starrte finster auf das weiße Wasser und sagte: »Man hat uns gelehrt, dass der Eine unser Vorfahr sei. Nun hören wir, dass Gulls Seele benutzt werden könnte, um unserem Ahnen das Gute, das in ihm steckt, zu entziehen. Wir haben gehört, dass die Heiden sich darauf verstünden. Dann begegnen wir einem Heiden, und seltsame Dinge geschehen. Bisher kam es mir immer so vor, als wären die Angewohnheiten des Einen irrwitzig – bis heute. Aber wenn ich das was mit Gull geschehen ist für wahr halte, was ich ja mit meinen eigenen Augen gesehen habe, warum sollte ich dann nicht glauben, dass der Eine selbst in Gefahr schwebt? Die Frage ist nur…«
    »Hör auf damit, Hern«, sagte Robin. »Du musst bemerkt haben, wie die Tage vergingen.«
    »… sinkt das Hochwasser jetzt?«
    »Wir haben nichts bemerkt«, sagte ich. »Weißt du, wie lange wir dort waren?«
    »Ich habe die Tage nicht gezählt«, antwortete Robin. »Aber mir kam es wie zehn Tage vor.«
    »Zehn Tage!«, rief ich aus. »Kein Wunder, dass unser Kohl verdorben ist!«
    »Sinkt die Flut nun, oder nicht?«, fragte Hern.
    Wir blickten besorgt auf die ausgedehnte Wasserfläche. Der doppelt breite Strom schwemmte Stecken, Stroh, Zweige, Blätter und ganze Pflanzen zwischen die beiden Baumreihen. »Seht doch!«, schrie Entchen auf und deutete auf den nächsten dahintreibenden Ast. Als wir hinschauten, bemerkten wir, dass er nicht flussabwärts trieb, sondern sich ganz langsam gegen die Strömung bewegte. Wir waren entgeistert.
    »Der Strom fließt in die falsche Richtung!«, rief Robin.
    Über eine Stunde lang trieben die Stecken, das Stroh und die Blätter langsam stromaufwärts. Mit unserem Boot kreuzten wir noch immer gegen den Wind und fuhren stromabwärts, aber wir waren in heller Aufregung. Entchen und ich hingen über der Seite und betrachteten das Treibgut. Wir konnten nicht sagen, ob es das Ende des Hochwassers bedeutete oder auf noch mehr boshafte Zauberei hinwies.
    »Dieser Magier am Meer muss ja den ganzen Strom umkehren«, sagte ich.
    »Wenn es dort einen Magier gibt«, entgegnete Hern. »Vergiss nie, wer uns von ihm erzählt hat.« Er starrte auf eine Stelle, an der das Wasser ein wenig aufgewühlt war, als kämpfe dort die eigentliche Strömung des Flusses gegen die widernatürliche Richtung. »Gulls Seele ist die eine Sache«, sagte er. »Sie kann nicht sehr schwer sein. Aber um diese Wassermasse zu bewegen, muss die Zauberei weit stärker sein als alles, woran ich glauben würde. Es muss eine andere Erklärung geben.«
    Zu unserem Erstaunen und unserer Erleichterung änderten die Zweige und Pflanzen am späten Vormittag ihr Verhalten und trieben wieder, wie es sich gehört, zum Meer.
    Wir blieben den ganzen Tag über im Boot, denn auf beiden Seiten zeigte sich hinter den Baumreihen keine einzige trockene Stelle, wo wir hätten landen können. Doch bei Einbruch der Nacht waren wir das kalte Essen leid. Im Halbdunkel machten wir etwas aus, was wir für eine kleine Insel oder die Kuppe eines überfluteten Hügels hielten. Wir holten das Schwert aus dem Wagen und stakten vorsichtig heran. Die ›Insel‹ erwies sich als das Dach eines gewaltigen Hauses, das zwar nicht sehr hoch war, aber die Fläche mehrerer Kornfelder bedeckte. Einige Teile waren aus altem Stroh, einige neu und steil und hatten schlüpfrige Dachziegel. Den First zierten bemalte Schnitzereien, und überall ragten hohe Schornsteine hervor.
    »Ich wette, hier hat der König gelebt«, sagte Entchen.
    Wir gaben Entchen Recht. Wer immer hier gelebt hatte, musste in den

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