Jones, Diana Wynne
»Aber seine ist anders.«
»Er ist älter als wir«, entgegnete ich. »Und ich gebe zu, dass du recht daran tust, mit dem Strom zu ringen. Ich halte dich für ziemlich klug. Ich glaube …« Ich hätte alles zu ihm gesagt, egal was.
Kankredin verhöhnte mich mit seiner grausigen Lache und sah seine beiden Magier an. »Was sollen wir tun?«
»Das sind völlige Dummköpfe«, sagte Schleichender Tod, doch in seinem Tonfall lag eine eigentümliche Schlauheit, durch die seine Worte eine ganz andere Bedeutung erhielten.
»Genau«, stimmte Kankredin dieser ganz anderen Bedeutung zu. »Also gut«, sagte er zu uns. »Wenn es euch gelingt, das Netz noch einmal zu passieren, dann dürft ihr gehen. Versucht es. Ich freue mich schon, euch dabei zuzuschauen.«
Ich kann mich nicht erinnern, noch einmal den Raum mit den Hängematten durchquert zu haben. Ich glaube, Kankredin schleuderte uns hinaus aufs Deck. Hern torkelte über die Planken.
»Du machst das Boot los«, sagte ich zu Entchen. »Ich schaffe Hern an Bord.« Ich fürchtete, dass es ihm ähnlich ergehen könnte wie Gull.
Aber Hern ist zäher als Gull. Während Entchen über die schwarzen Planken hetzte, schubste Hern mich zur Seite und stürzte sich auf die Körbe, die am Rand des Decks aufgereiht standen. »Nimm du die andere Seite!«, rief er. Taumelnd lief er die ganze Reihe entlang und schlug nacheinander die Deckel auf. Ich bin noch immer tief beeindruckt, dass Hern trotz seiner Schwäche an die gefangenen Seelen dachte. Andererseits muss er genau gewusst haben, wie sie sich fühlten. Ich riss auf der anderen Seite des Schiffs die Weidendeckel hoch. In das Brüllen, das die Schwingen der entkommenden Seelen von sich gaben, mischten sich die Wutschreie der Magier.
Kankredins Donnerstimme übertönte sie alle. »Stört euch nicht an ihnen. Wir rächen uns dafür später.«
Die Magier ließen von uns ab und beobachteten, wie wir in unser Boot kletterten. Ich ging an die Pinne. Wir entfernten uns von den Glotzaugen des Schiffes, von den stierenden Blicken der Magier, die die Bordwand säumten, und den beiden, die uns aus dem näher gekommenen Seelenboot anstarrten. In ihren Gesichtern entdeckten wir Hohn, und trotzdem schien uns nichts anderes übrig zu bleiben, als zum Netz zu segeln.
Ich war zu erschüttert, um das Boot kunstgerecht zu steuern, und die Gezeit arbeitete gegen uns. Entchen nahm ein Ruder und half nach, und trotzdem trieben wir unbeholfen zur Seite ab. Mündung für Mündung des Stroms sahen wir hinter dem großen schwarzen Netz vorüberziehen, bis das schwarze Schiff hinter uns ganz klein geworden war. Dann endlich trieben wir gegen das Geflecht. Über unseren Köpfen zappelten ein, zwei Seelen darin, und uns ging es genauso, nur auf der anderen Seite.
Kankredins Stimme schallte dröhnend über das Wasser. »Weiter! Weiter! Fahrt durchs Netz!« Wir wussten genau, dass er nur Katz und Maus mit uns spielte.
»Gleich holt er uns wieder zurück«, sagte Hern. »Wir können es nicht durchdringen.«
»Aber wir können etwas probieren«, sagte Entchen. Er legte den Riemen beiseite und zog behutsam die Flöten aus seinem Hemd, die Tanamil ihm gemacht hatte. Als er bemerkte, wie ich ihn ansah, sagte er: »Ich bin mir fast sicher, dass Tanamil keiner von ihnen ist. Und einen Versuch ist es wert, auch wenn wir dabei ihren eigenen Zauber gegen sie gebrauchen. Steuere uns weiter auf das Netz zu.«
Entchen setzte sich die Flöten an den Mund und spielte. Seine Musik war mit den Weisen Tanamils nicht zu vergleichen. Sie war kühn und holperig und voller Leben. Doch kaum hatte er sein Lied zur Hälfte gespielt, als sich die Schwärze des Netzes durch Nebel trübte, der von der anderen Seite stammte.
Kankredins Stimme erdröhnte wieder. »Entchen! Hör mit dem albernen Gepfeife auf. Sofort!«
Entchen zauderte und verlor die Melodie. Vor mir wiegte sich das Netz, schwarz und deutlich. »Mach weiter«, sagte ich. »Deine Musik wirkt!«
»Aber ich kann nicht«, sagte Entchen. »Nicht, solange er mich so anbrüllt.«
»Entchen! Komm sofort her zu mir!«, donnerte Kankredin.
Hern hob den Kopf. »Er brüllt doch gar nicht dich an. Du heißt Mallard. Spiel weiter und lass dich nicht täuschen. Er bangt, dass wir ihm doch noch entkommen könnten.« Hern hatte Recht. Die beiden Magier im Seelenboot stakten so schnell auf uns zu, wie sie nur konnten.
Entchen begann wieder zu spielen, wild und vor lauter Hast quietschig. Er lief rot an. Das Netz hellte sich von
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