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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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hast du diese Begebenheit gewoben?«
    »In dem ausdrucksvollen Stil, den Tanamil mir beigebracht hat«, sagte ich.
    »Dann«, entgegnete er, »denke an den zweiten Mantel, der nun in deinem Webstuhl aufgespannt ist. Du schilderst, wie ihr eurem König begegnet und was er euch über mich erzählt. Hast du dabei die gleiche Webart benutzt?«
    »Ja«, sagte ich. Damals war ich noch von solcher Ehrfurcht vor unserem König erfüllt gewesen. Und ich hatte den Mantel deutlich vor Augen, während ich dort stand; mein ausdrucksvolles Gewebe über den König reichte von Salband zu Salband über den ganzen Mantel. »Aber natürlich!«, rief ich aus. »Du bist zweimal gebunden worden! Einmal von Kankredin und einmal von Cenblith.« Dann hätte ich mich wieder beinahe zu ihm umgewandt, doch erneut wagte ich es nicht.
    »Es war meine eigene Schuld«, sagte mein Großvater gedankenverloren, als spreche er mit sich selbst. So muss er lange allein vor sich hingeredet haben, viele Jahrhunderte lang. »Ich kann niemanden bitten, uns zu befreien, weil ich selber daran Schuld bin. Beim ersten Mal benahm ich mich töricht. Beim zweiten Mal war ich genauso dumm, denn ich dachte, ich würde rechtzeitig vom ersten Band befreit werden, um mein heimgekehrtes Volk zu begrüßen. Ich gestattete es Kankredin, mich zu überrumpeln. Ich kannte Kankredin. Er hat meine Gaben geerbt, doch als ich begriff, dass er sie auf die übelste denkbare Art und Weise anwendet, war es schon zu spät.«
    »Kankredin? Kankredin ist ein Unvergänglicher?«, fragte ich. Ich musste ihn einfach unterbrechen und diese Frage stellen.
    »Er stammt von mir ab«, antwortete mein Großvater. »Jeder der Menschen, die du Heiden nennst, sind meine Nachkommen. Sie verließen einst dieses Land, und nun sind sie zurückgekehrt. Kankredin ist wie du – zwei Linien treffen sich in ihm –, doch er hat sein Erbe missbraucht, und nun will er meinen Platz einnehmen.«
    »Kannst du ihn aufhalten?«, fragte ich. Mittlerweile zitterte ich, so stark war der Drang, mich umzudrehen und meinen Großvater anzusehen, aber ich durfte ihm nicht nachgeben.
    »Ich kann ihn aufhalten, wenn ich befreit bin«, sagte mein Großvater. »Das verspreche ich dir.«
    Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und drehte mich um. So sehr fürchtete ich mich davor hinzusehen, dass ich, die Garnspule an die Brust gepresst, auf die Knie sank. Ich glaube, ich wimmerte vor Panik. Aber ich drehte mich um.
    Vor mir stand Kars Adon. Er warf einen langen Schatten neben meinen zusammengekauerten Flecken auf den Rasen. Verlegen lächelte er mich an. Sonst war niemand dort. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Kars Adon. »Ich habe ihnen befohlen, außer Sicht zu bleiben. Ich fürchtete, du könntest über die Kante springen, wenn wir uns dir alle auf einmal nähern.«
    6.
    Ob es die ganze Zeit über der Schatten Kars Adons gewesen ist, weiß ich nicht zu sagen, aber ich glaube es nicht. Eins aber weiß ich: Wie Hern muss ich irgendwo in meinem Innersten an Kars Adon gedacht haben. Ich war so froh, ihn lebend vor mir zu sehen, dass ich in Tränen ausbrach und seine Hand nahm; sie war kalt und knochig, genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte.
    Kars Adon, steif und höflich, wie er war, fiel natürlich in tiefe Verlegenheit. Er entwand seine Hand meinen Fingern und wich zurück. »Bitte weine nicht«, sagte er. Dann dachte er wohl, dass er zu kühl zu mir sei, und fügte hinzu: »Ich bin sehr froh, dich hier zu sehen. Wir haben uns schon gefragt, was du wohl machst.«
    »Hast du nicht den Einen gesehen?«, fragte ich. »Ich sprach gerade mit meinem Großvater.«
    Kars Adon bedachte mich mit einem merkwürdigen Blick, für den er fast zu höflich war. »Ich habe niemanden gesehen«, antwortete er. »Was glaubst du, wer es war?«
    »Er wird Adon genannt, wie du«, sagte ich, »und Amil und…«
    »Pst!«, machte Kars Adon. Er zeigte eine heilige Scheu. »Du meinst, unser Großer Vater war hier?«
    Ich nickte. Ich weinte schon wieder bei dem Gedanken, dass der Eine fortgegangen war, ohne dass ich ihn erblickt hatte.
    »Warum dampft das Wasser aus dem Berg plötzlich so sehr?«, fragte Kars Adon.
    »Dampft es denn gewöhnlich nicht?«, fragte ich, eifrig mit Schniefen beschäftigt.
    »Nicht seit wir hier angekommen sind«, sagte er.
    Darüber war ich hocherfreut. »Dann bedeutet es, dass ich etwas erreicht habe«, sagte ich, und meine Tränen versiegten.
    »Wenn du dich besser fühlst«, sagte Kars Adon, »dann

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