Jones, Diana Wynne
Collen auf den Rückweg gemacht. Er sagte, er wolle nach Niedertal, und er … er fand einen Bauern, der ihn auf seinem Wagen mitnahm.«
Moril wünschte sich traurig, Brid würde ihm das Reden überlassen. Seine Schwester log längst nicht so gewandt wie sie glaubte. Ohne Zweifel hatte sie gedacht, es sehr klug anzustellen, aber zuerst hatte sie Kialans Existenz zugegeben und nun auch noch eingestanden, dass er in der Nähe sein musste. Beides wäre aber gar nicht nötig gewesen. Tholian hatte Kialan nie zusammen mit ihnen gesehen. Bisher hatte er nur vermuten können, dass er bei ihnen gewesen war, nun aber konnte er sich fast sicher sein. Er musterte Brid und setzte ihr allein dadurch schrecklich zu; unverhohlen genoss er es, sie zu quälen.
»Ich glaube, du begreifst nicht ganz, worum es hier geht«, sagte der Graf, als Brid errötend den Blick von seinen blassen Augen auf ihre Schuhe senkte. »Ich bin bereit, euch beide unversehrt nach Markind zurück zu schicken, wenn ihr mir Kialan Kerilsohn ausliefert. Sonst nicht. Habt ihr das jetzt verstanden?«
»Wen? Von wem redest du?«, entgegnete Brid beherzt.
Tholian blickte Moril an. »Und du?«
Moril versuchte, den Schaden, den Brid angerichtet hatte, wenigstens teilweise zu beheben, und fragte: »Nein, leider nicht. Wer ist das, von dem du sprichst?«
Damit erreichte er aber nur, dass Tholian seinen Blick wieder auf Brid richtete. »Keril ist«, sagte er, »wie ihr sicher wisst, der Graf von Hannart.« Ohne die Augen von Brid zu wenden, schnipste er nach einigen seiner Männer. Sie eilten hastig herbei. »Hört zu«, sagte Tholian. »Kialan Kerilsohn ist etwa fünf Fuß sieben Zoll groß und kräftig gebaut. Er hat dunkle Haut und helles Haar. Und eine Adlernase. Seine Augen haben fast die gleiche Farbe wie meine. Sucht die Wälder nach einem Jungen ab, auf den diese Beschreibung passt.«
Die Männer machten unverzüglich kehrt und eilten in das überfüllte Tal davon. Moril rechnete damit, dass Brid ihre Bestürzung nicht würde verbergen können, und richtig, sie rief schrecklich schrill aus: »Der muss aber seltsam aussehen!«
»Aber nein«, entgegnete Tholian. »Nur wie ein typischer Nordländer eben.«
Hinter ihm schwenkten Hauptleute die Arme und brüllten Befehle. Es dauerte nicht lang, und eine erstaunliche Anzahl Soldaten beendete Exerzieren und eilte in die Wälder. Moril konnte nur hoffen, dass Kialan so vernünftig gewesen war, den Weg in einem unbeobachteten Moment zu überqueren und auf dem schnellsten Weg nach Norden zu fliehen. Tholian schaute kurz zur Seite, um sich zu überzeugen, dass seine Befehle ausgeführt wurden, dann wandte er sich wieder Brid zu. »Du scheinst besorgt zu sein«, sagte er und lachte ihr ins Gesicht.
»Aber nicht im Geringsten«, entgegnete Brid überheblich.
»Du jedoch nicht«, sagte Tholian zu Moril. »Wieso nicht?«
Moril hatte keine Lust Tholians Spielchen zu spielen. »Warum hast du meinen Vater getötet?«, fragte er.
Tholian ließ sich dadurch kein bisschen aus der Fassung bringen. Die Gleichmütigkeit, mit der er die Frage hinnahm, weckte in Moril tiefe Empörung. »Ja, warum eigentlich?«, entgegnete der Graf, als müsse er erst überlegen. In seinem gelassenen Gesicht entdeckte Moril eine echte Familienähnlichkeit mit Lenina: Während sie Clennens Wunde versorgte, hatte sie genauso ausgesehen. Er wünschte, die Ähnlichkeit wäre ihm entgangen. »Wenn ich mich recht entsinne, hat er meine Suche nach Kialan erschwert«, sagte er. »Aber umgebracht habe ich ihn deshalb, weil es mir so wahrscheinlich erschien, dass er der Pförtner war.«
Brid keuchte auf, was Tholian noch mehr amüsierte. Moril empfand grenzenlose Ohnmacht, versuchte aber, sich davon nichts anmerken zu lassen. »Wenn du ihn verdächtigt hast, warum hast du ihn dann nicht verhaften lassen?«, fragte er.
»Nach dem Gesetz, anstatt ihn zu ermorden«, fügte Brid hinzu, die so verzweifelt war, dass sie nicht mehr darauf achtete, was sie sagte.
»Aber das wäre doch sehr dumm von mir gewesen«, lachte Tholian. »Wenn man einen Mann für Verbrechen einsperrt und verurteilt wie die, die der Pförtner begangen hat, macht man ihn leicht zum Helden. Man henkt ihn, und die Leute stellen sich auf seine Seite oder rebellieren sogar in seinem Angedenken. Außerdem kannte ich Clennen von seinen Auftritten in Niedertal. Ich sah gar nicht ein, warum ich ihm die Bühne für die größte Vorstellung seines Lebens liefern sollte. Das hätte er viel zu
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