Jones, Diana Wynne
Haltung zu winden, aber es war einfach nicht möglich. Tholian ließ ihn vielleicht stundenlang so gefesselt. Es war einen Versuch wert.
Weil die Quidder seine Gedanken zu spielen schien, stellte sich Moril ganz genau vor, wie die Schlinge Kialan in diese unnatürliche, verdrehte Haltung zog. Es war schrecklich. Ihm schmerzten selber die Arme, und der Schweiß rann unter seinen Haaren hervor. Grimmig dachte er: Das muss aufhören!, und berührte leicht die nur locker gespannte tiefste Saite.
Sie klang wie ein leiser, tiefer Glockenschlag. Moril spannte sich in Erwartung des Brummens an, aber diesmal blieb es aus. Nur auf Kialan wirkte die Quidder, aber leider ganz anders, als Moril erhofft hatte. Kialans Kopf sackte nach vorn, und seine Knie gaben nach. Er rührte sich nicht mehr, und es stand außer Frage, dass nur seine Fesseln ihn noch aufrecht hielten. Entsetzt legte Moril die Hand auf die Saite, um sie zum Schweigen zu bringen.
Brid fuhr Moril an, während ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen: »Du blöder Idiot! Du hast ihn umgebracht!«
»Sei still!«, wisperte Moril, der besorgt Kialan und die Soldaten hinter ihm beobachtete. »Sonst merken sie was. Sieh doch, er atmet. Er ist nur bewusstlos.«
»Aber was ist mit den Stricken?«, flüsterte Brid.
Moril schüttelte den Kopf. »Ich kann sie nicht lösen. Das habe ich ja versucht. Ich glaube, die Quidder wirkt nur auf Menschen.«
Einer der Soldaten drehte sich um und sah, dass Kialan zusammengesackt war. Als Tholian von seiner Unterredung mit den Hauptleuten zurückkehrte, machte er ihn auf Kialan aufmerksam. Tholian zuckte nur die Achseln und ging weiter.
»Ich hasse Tholian!«, knirschte Brid.
Moril schwieg. Er kniete am Boden und drückte die Quidder an sich. Er dachte nach wie noch nie in seinem Leben. Die Soldaten blickten sich unterdessen an, schauten, wie weit Tholian fort war, und lösten die Schlinge von Kialans Händen. Er sank auf die Knie, und sein Kopf hing so schlaff herab, dass der Scheitel fast genau zu Boden zeigte.
»Sieh nur, Moril«, flüsterte Brid. »Du hast das Seil tatsächlich gelöst – sozusagen.«
Moril hatte es durchaus selbst beobachtet, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Wie im Gefängnis von Niedertal war er sich seiner Umgebung nun ganz deutlich bewusst. Er hätte Brid genau sagen können, wie viele Hauptleute, Fußsoldaten und Reiter sich in dem Teil des Tales befanden, den er sehen konnte. Er wusste, wann ein Trupp neuer Rekruten heranmarschierte und wie viele in jedem Trupp waren. Während er kniete und nachdachte und Kialan mit dem Kopf nach unten in den Fesseln hing, trafen vier Trupps ein. Moril sah, dass sie nicht über den Weg, sondern durch die Wälder ins Tal kamen, damit ihre Aushebung geheim blieb. Er sah auch, dass die meisten der Neuankömmlinge unglücklich waren. Die Rekruten schleppten sich dahin und hielten die Köpfe gesenkt wie Dagner und Kialan, als beide begriffen, dass sie gefangen waren. Nur wenige von ihnen waren freiwillig in Tholians Heer eingetreten. Moril musste nachdenken – nur nachdenken war wichtig, denn die Quidder, die er auf den Knien wiegte, konnte sie alle drei retten, und dann konnten sie den Norden vor der Gefahr warnen, die durch Tholians neues Heer drohte. Er wusste, wie die Macht der Quidder wirkte; wie aber konnte er sie heraufbeschwören?
Da die Quidder auf seine Gedanken reagierte, überlegte Moril, wie er alles, was sein Wesen ausmachte, mit dieser gewaltigen Macht vereinen könnte, denn eine gewaltige Macht würde nötig sein, um sie zu befreien. Clennen hatte gesagt, Moril sei in zwei Hälften gespalten. »Füg sie zusammen, diese Hälften«, hatte er hinzugefügt, »und keiner kann sagen, was du dann zuwege bringen kannst.« Damit hatte Clennen wohl gemeint, dass Moril einerseits ein unverbesserlicher Träumer war und andererseits manchmal unfassbar aufmerksam sein konnte – so wie jetzt. Aber Kialan hatte richtig festgestellt, dass er oft beides zugleich war, es sei denn, er flüchtete sich zum Selbstschutz in seine Traumwelt. Das kann es also nicht sein, dachte Moril.
Auch in anderer Hinsicht war er zwiegespalten: Seine Mutter war eine südländische Adlige, sein Vater ein Barde und Freiheitskämpfer aus dem Norden. Wie Dagner sagte, war das ohne Zweifel eine eigenartige Mischung, heiß und kalt, streng und ungezwungen, beherrscht und offenherzig auf einmal. Nur leider summierten sich auch diese Eigenschaften nicht zu Morils ganzen Wesen. Er glaubte
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