Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 01 Die Spielleute von Dalemark
Vom Netzwerk:
beleibt, freundlich und gesellig; andererseits hatte er Kialan fast zu Tode gelangweilt, indem er ihm dreimal hintereinander die gleiche Geschichte erzählte. Und die ganze Zeit war Clennen der Pförtner gewesen, ohne jede Heimlichtuerei – im Gegenteil, er hatte es genossen, die Menschen zu täuschen, indem er seine verbotenen Geschäfte vor aller Augen abwickelte, so offensichtlich wie möglich. Genau das hatte Clennen am meisten Spaß bereitet, da war sich Kialan ganz sicher gewesen. Ständig hatte Clennen ›Vergiss das nie‹ gesagt – so als hoffe er, eines Tages würde eines seiner Kinder seine gesammelten Aussprüche niederschreiben. Brid wird es vielleicht sogar tun, dachte Moril und lächelte matt. Dann erinnerte er sich an eine ganz bestimmte Feststellung seines Vaters, die er an dem Tag getroffen hatte, an dem sie Kialan aufnahmen: Clennen hatte gesagt, der Wagen sei wie das Leben. »Du kannst dich zwar fragen, was hinter der Fassade vorgeht, aber eigentlich zählt nur der äußere Anschein und die Qualität unseres Spiels.« Später hatte Clennen Dagner nach einen anderem seiner Aussprüche befragt, und Dagner hatte diesen falsch in Erinnerung. »Dass das Leben auch nur ein Schauspiel ist«, hatte Dagner gesagt.
    Das ist der springende Punkt, dachte Moril. Clennen hatte stets nur Rollen gespielt, eine Vielzahl von Rollen. Er war der beste Barde von ganz Dalemark gewesen und hatte seine Kunst benutzt, um den Pförtner zu spielen, und er war der Pförtner, weil er seine aufrichtigen Ansichten über die Freiheit benutzte, um vorzugeben, ein Barde zu sein – hin und her, auf und ab, Clennen hatte sich immer verstellt, selbst vor der eigenen Familie. Sein ganzes Leben lang hatte er gesagt: »Seht mich an!« Er hatte gewusst, dass er ein Schauspieler war, und dieses Wissen benutzt, so wie auch Brid ihre echte Trauer in ihren Auftritten in Niedertal eingebaut hatte. Aber die Quidder hatte Clennen nicht zu nutzen gewusst. Die Quidder sagte nicht: »Seht mich an!«, sie wirkte anders.
    Aber wenn man nicht sagte: »Seht mich an!«, was dann? Mit dem freudigen Gefühl, auf der richtigen Fährte zu sein, wandte Moril seine Gedanken Dagner zu. Kialan hatte Dagners Auftritt als eine ›Vorstellung anderer Art‹ bezeichnet. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit stieg in Moril auf. Kialan nannte die Dinge oft beim Namen. Und wenn aus keinem anderen Grund, so hätte Kialan es alleine deswegen verdient gehabt, gerettet und in den warmherzigen, sicheren, freimütigen Norden gebracht zu werden, wohin er gehörte.
    Aber Dagner – Dagner war schüchtern gewesen. Er hatte nie »Seht mich an!« gesagt, weil es ihn verunsicherte, wenn die Menschen ihn anschauten. Er tat etwas anderes: In seinen Liedern hob er den Vorhang vor seinen Gedanken – ein Stückchen zumindest. »Seht her«, schien er zu sagen. »Ich bitte um Verzeihung, aber das denke ich. Ich hoffe, ihr mögt es.«
    Und die Leute mochten es – nicht auf die Weise, auf die sie Clennen schätzten, sondern als hätte er ihnen etwas Neues erzählt.
    Moril wusste, dass er selbst genauso wenig etwas Neues schaffen konnte, wie er seine echten Gefühle für den Auftritt zu nutzen vermochte – das konnte nur Brid. Damit blieben nur die alten Lieder übrig, Morils besondere Stärke. Halfen sie ihm? Ja, das taten sie – wieder dank Kialans Hilfe. Erst an diesem Morgen hatte Kialan das Lied über den Adon gesungen, und es hätte genauso gut von dieser seiner Quidder handeln können! Die grenzenlose Wahrheit!, dachte Moril mit wachsender Erregung. Weder an Zeit noch Ort gebunden! Wenn man die Macht der Quidder heraufbeschworen hatte, war auch sie frei von beidem.
    Jetzt begriff er. Beim Auftritt konnte er nicht sagen: »Seht mich an!« Auch nicht wie Dagner: »Dies hier denke ich.« Wenn Dagners schüchterne Art die richtige gewesen wäre, dann hätte Clennen ihm die Quidder gegeben und nicht Moril. Aber nein. Er musste vor die Menschen treten und unumwunden sagen: »Dies hier ist wahr.« – »Das ist die Wahrheit«, musste er sagen. »Und auch wenn sie mir Ungelegenheiten bereitet, so und nicht anders ist es.« Und das war natürlich schrecklich schwierig.
    Moril blinzelte. Er musste Mut fassen. Der vierte Trupp Rekruten zog schleppenden Schrittes ins Tal, und Tholian kehrte zu seinem Zelt zurück. An seiner Seite gingen die gleichen Gefolgsleute, die ihn auch an den kleinen runden See begleitet hatten, wo Clennen begraben lag. Alle blickten unwirsch und entschlossen drein.

Weitere Kostenlose Bücher