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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 01 Die Spielleute von Dalemark
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eigentlich nicht, von seinen südländischen Vorfahren sehr viel geerbt zu haben – ganz gewiss aber keinerlei Neigung zur gefühllosen Tyrannei, die seinen entfernten Vetter Tholian so verabscheuungswürdig machte.
    Und doch hatte Tholians Mischung aus Selbstbeherrschung und Grausamkeit ihn auf schreckliche Weise an Lenina erinnert. Moril fiel ein, was Kialan gesagt hatte: »Deine Mutter lässt sich nichts anmerken.« Und das stimmte wirklich. Lenina verlor nie den Kopf, und Moril auch nicht. Wenn Brid ihn nur gelassen hätte, so wäre er Tholian gegenüber ganz besonnen geblieben und hätte ihm weisgemacht, dass sie Kialan noch nie gesehen hätten, da bestand für ihn gar kein Zweifel. Lenina wäre genauso vorgegangen. Einen kühlen Kopf zu bewahren gehörte zu den ehernen Regeln des Südens. Der ehernen Regeln wegen war Lenina Clennen stets treu geblieben, obwohl sie das Leben im Wagen verabscheute, und auch gegen den Freiheitskampf einiges einzuwenden hatte. Moril begriff nun, dass die gleiche strenge Loyalität ihn nach Norden führte – nur dass es bei ihm eben die Treue zum Norden war.
    Darauf folgte eine sehr unangenehme Erkenntnis, vor der Moril zurückgeschreckt wäre, wenn er nicht unbedingt und sofort hätte lernen müssen, die Quidder zu benutzen. Er musste sich nämlich eingestehen, dass er Lenina im Stich gelassen hatte. Er war fortgegangen, als sie versucht hatte, ihnen allen ein angenehmes und glückliches Leben zu bieten. Hoffentlich hatte er sie damit nicht zu traurig gemacht. Die Begegnung mit Tholian in Markind hatte er zum willkommenen Vorwand genommen, nach Norden aufzubrechen, gestand Moril sich ein. Indem er heimlich und ohne ein Wort davonschlich, hatte er versucht, alles Südländische in sich zu verleugnen – die ehernen, achtbaren Regeln, die zu den guten Seiten des Südens gehörten. Es nutzte ihm aber nichts, sie zu verleugnen, sie waren da – und er glaubte, sie nur aus Treue gegenüber Clennen von sich gewiesen zu haben.
    Nun musste er herausfinden, was er von Clennen mitbekommen hatte. Eins stand fest: Die Barden waren ein eigentümliches Völkchen. Sie konnten alle singen und spielen. Sie sahen mehr als die meisten Menschen, und manche von ihnen träumten viel. Aber Moril wusste, dass er von Clennen nur die Idee der Freiheit und die Liebe zum Norden übernommen hatte. Alles andere war allen Barden gemeinsam.
    Eigenartig, dachte Moril, wie diese beiden Hälften sich zu drei völlig verschiedenen Menschen verbanden: zu Brid, Dagner und Moril. Brid vereinte ihrer Mutter Scharfsinn und einen guten Teil von Leninas Tüchtigkeit mit Clennens Freude an einem Publikum, ohne seine Gaben zu besitzen – nur dass sie glaubte, sie zu haben. Dagner hatte viel mehr von Clennens Talenten geerbt, aber auch Leninas ganze Zurückhaltung, wenn nicht sogar mehr. Es entsprach durchaus Leninas Wesen, wie Dagner in den Norden aufbrach, um Clennens Werk zu vollenden, obwohl er wusste, dass er nicht die Persönlichkeit war, dies zu bewältigen. Keiner von ihnen aber hatte die Größe geerbt, die Clennen zu dem gemacht hatte, was er war. Warum hatte er nicht Brid oder Dagner gesagt, sie seien in zwei Hälften gespalten?
    Moril merkte, dass er in eine Sackgasse geraten war. Er musste die Macht der Quidder also auf eine andere Weise ergründen. Das musste ihm gelingen. Der dritte Trupp Rekruten war gerade eingetroffen. Das Tal füllte sich mit Soldaten, und im Norden wusste man nichts davon. Der Graf von Hannart aber würde um Kialans willen nicht wagen, etwas zu unternehmen. Außerdem drohte Kialan von Tholian Lebensgefahr. Mehrmals war der Graf vorbeigekommen, und jedes Mal hatte er den zusammengesackten Kialan angesehen, als bedaure er, dass dieser seine Qualen nicht bei Bewusstsein erlebte.
    Moril dachte an die Quidder selbst. Obwohl Osfameron damit auch die unbelebte Welt in Bewegung bringen konnte, beeinflusste das Instrument in Morils Händen nur Menschen. In gewisser Weise erschien ihm das auch passend, denn schließlich wirkte sie durch die Musik. Man spielte, und die Menschen hörten zu und wurden davon berührt. Was aber legte man in das Spiel, um die Macht der Quidder hervorzulocken?
    Moril begriff es noch immer nicht. Er konnte nur sehr verschwommen erklären, wodurch er Kialans Bewusstlosigkeit bewirkt hatte. Aber gut, dachte er. Was hat mein Vater unterlassen, sodass er die Macht bis auf ein Mal nie nutzen konnte? Und er stellte sich Clennen vor, wie er ihn tagein, tagaus gekannt hatte:

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