Jones, Diana Wynne
begriff, dass sie noch immer den Reif in der Hand hielt. »Senke mal den Kopf«, sagte sie zu Mitt.
Niemand von ihnen hatte bemerkt, dass der Kampfeslärm völlig verebbt war. Während Mitt den Kopf beugte und Maewen ihm sorgsam die Krone aufs Haar setzte, kam Graf Keril mit knirschenden Schritten über das verstreute Korn zu ihnen gelaufen. Er war ein wenig zerzaust, sah aber nicht aus wie ein Mann, der gerade in der Schlacht gekämpft hatte. Er hakte beide Daumen in den Schwertgurt und betrachtete Mitt und Maewen. »Also wirklich«, sagte er freundlich. »Ich hatte fünf mögliche Entwicklungen im Sinn, als ich dich nach Adenmund schickte, aber ich muss zugeben, damit hätte ich nicht gerechnet.«
Mitt richtete sich auf. Er überragte Graf Keril ein wenig. »Lass mich hängen und sorge dafür, dass es keinen Aufstand gibt«, sagte er. »Richtig.«
»Dich zu hängen mag durchaus die Lösung sein«, sagte Graf Keril ungemindert freundlich. »Lass es mich aus meiner Sicht beschreiben. Der Norden ist seit einigen Jahren ganz aus dem Häuschen über Geschichten, dass Noreth Einentochter«, er verbeugte sich freundlich vor Maewen, »in dem Jahr, in dem sie achtzehn wird, der Straße des Königs folgen würde. Dann tauchst du plötzlich in Aberath auf eine Weise auf, die sämtliche Prophezeiungen erfüllt, die jemals getroffen wurden, und die einfachen Leute grüßen dich als den neuen König, der endlich gekommen sei…«
»Das habe ich nicht gewusst«, entgegnete Mitt. »Daran hätte ich nie gedacht. Wenn du mich in Ruhe gelassen hättest, wäre ich jetzt nicht hier. Aber du hast mich losgeschickt, um Noreth zu ermorden.«
»Weil ich natürlich hoffte, dass zwei Anwärter sich gegenseitig ausstechen würden«, stimmte Keril ihm zu. Er blickte wieder Maewen an. »Stattdessen krönt die eine Anwärterin den anderen. Dennoch waren wir auch auf ganz andere Ergebnisse vorbereitet. Zu diesem Zweck nahmen die Gräfin und ich uns deiner an, erzogen dich und ergriffen Maßnahmen, damit du weiterhin unter der Patenschaft von Hannart und Aberath bleibst…«
»Patenschaft nennt ihr das also«, sagte Mitt. »Wer’s glaubt.«
»Ich habe dich gebeten, die Sache aus meiner Sicht zu betrachten!«, fuhr Keril ihn an. »Als ich noch jung und unwissend war, habe ich an einem Aufstand teilgenommen. Heute bin ich dazu zu klug. Ich würde noch viel größere Anstrengungen unternehmen, um einen neuen Aufstand zu verhindern. Wenn das Volk sich erhebt, dann sterben die Menschen zu Tausenden einen furchtbaren Tod.«
»Als ich noch jung und unwissend war«, entgegnete Mitt, »habe ich in Holand gelebt. Dort starben die ganze Zeit über viele Menschen, nur eben langsam, und die Übrigen waren zu verängstigt, um ihnen zu helfen. Ein Aufstand ist unvermeidlich, und diesmal muss er gelingen.«
Die beiden starrten sich ohne jede Wärme an. »Wenn du das so siehst«, sagte Keril, »werde ich dich zum Erntefest hängen lassen. Gründe dafür gibt es zuhauf.«
Moril, Kialan und Ynen sprangen auf. Kialan rief: »Hör zu, Vater…«, und Ynen protestierte: »Löse doch den Gürtel noch nicht!«
»Sei still!«, sagte Keril. »Mit euch beiden befasse ich mich später. Jetzt verlange ich zu erfahren …«
Erneut knirschten rasche Schritte über das Korn, und Alk und Navis näherten sich von beiden Seiten. Alks Lederkleidung war von oben bis unten zerrissen und entblößte beschädigte Kettenrüstung, und am Kinn lief ihm ein Streifen Blut herunter. Navis’ Gesicht war auf der einen Seite schwarz vom Pulverrauch. Er sah todmüde aus, und doch wandte er sich mit äußerster Höflichkeit an Keril. »Herr, wir haben dir für dein zeitiges Eingreifen sehr zu danken.«
Alk grinste. »Ohne dich wär’s mit uns aus gewesen, Keril.«
Keril blickte sie nacheinander kalt an. Navis fragte: »Gibt es Schwierigkeiten, Herr? Dürfen wir dir helfen?«
»Ja«, sagte Keril grimmig. »Ich würde gern erfahren, wie dein Mitt es zuwege gebracht hat, dass eine Horde Südländer hier auf ihn wartet.«
»Ich habe nichts dergleichen getan!«, rief Mitt.
»Das waren Hendas Männer, Herr«, entgegnete Navis. »Wie du gewiss selbst weißt, kann man bei Henda sicher sein, dass er von ganz alleine auf alles reagiert, was seine Grafschaft bedrohen könnte.«
»Aber woher sollte er davon wissen?«, fragte Keril. »Hast du es ihm verraten, Navis Haddsohn?«
»Jetzt lass es aber mal gut sein, Keril«, sagte Alk. »Du hast Navis selbst das Leben gerettet. Du hast
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