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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04 Die Krone von Dalemark
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Wand drückte, damit die schwebende Wolke, die Kankredin war, sie nicht sehen konnte. Ihre Kehle pochte noch stärker, und ihre Beine fühlten sich schwach an, als sie begriff, dass ihre neue Scharfsicht sie dazu trieb, sich so und nicht anders zu verhalten. Er ist hinter mir her!, dachte sie. So schnell wird er mir nicht vergeben! Ob er von Wend herbeigerufen worden war? Oder hatte etwa ihre Reise zweihundert Jahre zurück und wieder vorwärts in der Zeit Kankredin den Weg geöffnet? Oder sollte sich Kankredin mit einer Verschlagenheit, die der des Einen vergleichbar war, die Macht zunutze gemacht haben, die Mitt gegen ihn geworfen hatte, um den Weg durch die Zeit zu beschreiten? Es konnte kein Zufall sein, dass Kankredin ausgerechnet in dem Augenblick eingetroffen war, in dem sie die goldene Statue berührte. Es musste einen Zusammenhang geben.
    Maewen hatte wirklich sehr große Angst.
    Sie fand es schlimmer als alles, was ihr während der Reise über die Grünen Straßen widerfahren war. Sie fand es schlimmer als die beiden Mordanschläge in Auental. Warum eigentlich? Zuerst glaubte Maewen, es sei so, weil sie damals nur von Hestefan angegriffen wurde und nun von Kankredin. In Auental hatte sie aber gar nicht gewusst, dass ihr Angreifer ein ältlicher Barde war. Nein … es lag daran, dass es nun in ihrer eigenen Zeit geschah, in der modernen Zeit, in der sich so etwas nicht ereignen durfte. Vor allem aber war sie allein. Alle Freunde, die ihr vielleicht geholfen hätten, waren seit zweihundert Jahren tot.
    Da traf es sie erst wirklich. Tot. Seit zweihundert Jahren. Worauf sie blickte, wenn sie nach unten in den Hof sah, das war Mitts Grabmal.
    Die Trauer traf sie wie ein Donnerschlag, so hart und unaufhaltsam wie der große Wasserfall von Wassersturz. Unter ihrem Anprall floh Maewen die Galerie entlang, die Treppe hinauf, zur anderen Treppe und hoch in die Wohnung ihres Vaters. Dort ließ sie sich ein Bad ein. Obwohl sie beide Hähne ganz aufgedreht hatte, floss das Wasser noch längst nicht so stark wie die Trauer auf Maewen eindrang. Sie setzte sich in die Wanne und wusch sich und ihr Haar, ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken. Stattdessen ging sie im Geiste noch einmal die ganze Reise durch, von Adenmund bis Karnsburg. Sie stellte fest, wie viele Erinnerungen an Mitt sie besaß, von denen sie bis zu diesem Augenblick noch gar nichts geahnt hatte.
    Dass das Wasser kalt geworden war, bemerkte sie schlagartig, sprang aus der Wanne und trocknete sich ab, dann fönte sie sich das Haar. Als es so weit war, hatte sie alles schon zweimal überdacht und begann eine dritte Runde. An einigen Stellen konnte sie sogar lachen – zum Beispiel, wo der Ring auf Mitts Finger festsaß. Die Trauer hatte aufgehört, sich über sie zu ergießen, und war zu einem bleibenden Schmerz geworden, von dem ihr Kehle und Brust wehtaten, so als sei sie von Gram sosehr erfüllt, wie Gram einen Menschen nur erfüllen kann. Wie immer trocknete ihr Haar zu einer unbändigen, flauschigen und wogenden Mähne. Es war einen guten Zoll gewachsen. Tante Liss wäre das sofort aufgefallen, doch Maewen war sich ziemlich sicher, dass Vater es nicht bemerken würde. Es hatte nun mehr als nur ein bisschen von Cennoreths – oder Kialans oder Kankredins – Strubbligkeit angenommen. Maewen zog sich ihr hübschestes Kleid an. Sie wollte Mitt nicht enttäuschen, wenn sie sich Kankredin allein zu stellen hatte. Sie betrachtete sich im Spiegel, und was sie sah, gefiel ihr gut.
    Vielleicht wäre ich Königin geworden, dachte sie, um es auszuprobieren, und beobachtete sich dabei. Und sie sah, wie sie den Kopf schüttelte. Aus irgendeinem Grunde hatte das nie zur Debatte gestanden. Also würde ich mich vielleicht auch dann so fühlen, wenn Alk die Statue jemand anderem gegeben und ich sie niemals berührt hätte, sagte sie sich, doch auch das konnte sie nicht glauben. Was immer sie glaubte, es war sinnlos, über das Wenn und Hätte nachzudenken. Das Jetzt war genug – schlimm genug.
    Mitt hatte ihr ein Erbe hinterlassen, obwohl sie es nicht kannte (als ihr das Wort ›Erbe‹ in den Sinn kam, glaubte Maewen einen Moment lang, sie würde zu weinen beginnen, doch schien sie zum Weinen nicht fähig zu sein; innerlich war sie hart und trocken). Sie wusste noch das Wort, das Mitt gebrüllt hatte, um den Wirbelsturm herbeizurufen, und bezweifelte nicht, dass es ihr damit ebenfalls gelingen würde. Sie könnte es gegen Kankredin einsetzen, wenn es sein

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